Freising:Der Traum vom Fliegen

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Marcel Dürr ist ein Meister mit dem Gleitschirm

Von Luise Helmstreit, Freising

Marcel Dürr verfolgt täglich die Wettervorhersagen. Er wartet auf die perfekten Bedingungen: Sonnig muss es sein, mit nicht zu viel Wind, dann packt der Freisinger seinen Gleitschirm ein und fährt in die Berge. Über zweihundert Kilometer hat er zurückgelegt, bewaffnet mit wenig mehr als einem Stück Stoff, und ist damit in seiner Gleitschirmklasse dieses Jahr deutscher Meister geworden. Für seinen Siegerflug war Dürr fast zehn Stunden lang in der Luft. Um das zu schaffen, müssen Gleitschirmflieger thermische Aufwinde ausnutzen, die sie nach oben tragen. "Dafür brauchen wir maximale Sonneneinstrahlung, die die bodennahen Luftmassen erwärmt", erklärt Dürr.

Nicht immer findet sich jedoch genug Aufwind, und ihm bleibt nichts anderes übrig, als zu landen, seinen Gleitschirm zusammenzufalten und nach der nächsten Straße zu suchen. Von dort trampt Dürr dann zurück in die Zivilisation. Nicht selten führen seine Flüge aber über wenig erschlossenes Gebiet, Gebirgsketten und Gletscher. "Ich fliege keine Standartrouten", erklärt der Freisinger. "Ich weiß, wenn ich dort landen muss, brauche ich mindestens einen halben Tag, um wieder zurückzukommen, denn der Rückweg am Boden ist immer länger als die Luftlinie."

Seine Flugstrecke fand Dürr in einem Gleitschirmflugbuch - das sie als unmöglich erklärte. "Der Luftraum des nahegelegenen Flughafens darf nicht verletzt werden", meint Dürr, "ich muss also tief genug fliegen, um den Flugzeugen nicht in die Quere zu kommen, die Aufwindzonen sind aber weit auseinander, das macht es schwierig."

Zwei Jahre lang feilte der 39-jährige an seiner Route. "Aufwind gibt es nur auf der sonnigen Seite einer Bergkette, morgens also auf der Ost- und abends auf der Westseite. Bevor ich starte, muss ich das Gelände und die Windverhältnisse genau kennen. Wo mehrere Windströme zusammentreffen, kann es zu gefährlichen Turbulenzen kommen, unter denen der Gleitschirm zusammenklappt." Für diesen Fall hat Dürr einen Reservefallschirm dabei. Den musste er in den sechzehn Jahren, in denen er Gleitschirmsport betreibt, erst einmal benutzen. "Wenn man weiß, was man tut, ist es kein besonders gefährlicher Sport", meint er.

Das Fliegen ist für Dürr eine Leidenschaft. Mit vierzehn Jahren saß er zum ersten Mal am Steuer eines Segelfliegers, mit einundzwanzig flog er Verkehrsflugzeuge. Heute ist er Kapitän und Ausbilder bei Condor. "Ich mache jeden Tag das, was ich liebe", erklärt der Freisinger. "Das Gleitschirmfliegen ist für mich aber noch viel näher am natürlichen Fliegen. Wenn ich mit einem Airbus die Alpen überquere, dauert das zehn Minuten und ich sehe sie nur aus großer Höhe. Das ist etwas ganz anderes." Als ausgebildeter Pilot kann Dürr auf sein umfassendes Wissen über meteorlogische Geschehnisse und Windverhältnisse zurückgreifen. "Aber auch umgekehrt kann ich profitieren", meint der Freisinger. "Beim Gleitschirmfliegen entstehen viel mehr Stresssituationen, oft aus dem Nichts. Man muss ständig bereit sein, schnell zu reagieren. Als Airlinepilot bin ich dadurch regelrecht abgebrüht. Da kann passieren, was will, ich bleibe ruhig, immerhin hat ein Flugzeug ein ganz anderes Sicherheitsniveau."

Insgesamt wiegt die Ausrüstung, die Dürr zum fliegen braucht, nur fünfzehn Kilogramm. Auf langen Flügen muss er außerdem Essen und Trinken mitnehmen. "Am liebsten Bananen, die kann ich essen, während ich gleichzeitig die Hände an den Bremsseilen habe. Die Schale segelt anschließend sanft nach unten."

Langstreckenflüge mit dem Gleitschirm sind nicht nur körperlich anstrengend, sie gehen auch mit einer nicht unwesentlichen psychischen Belastung einher. "Nach ungefähr drei Stunden denke ich mir eigentlich jedes Mal: Jetzt reicht es eigentlich. Dann motiviere ich mich mit dem Gedanken, wie weit der Rückweg ist, wenn ich jetzt aufhöre", erzählt Dürr.

Für sein Hobby braucht der Pilot viel Verständnis von seiner Familie. "Die Tage mit perfekten Bedingungen sind natürlich immer an Omas Geburtstag oder an einem anderen wichtigen Termin", meint Dürr. "Zum Glück ist meine Frau auch mehrere Jahre gleitschirmgeflogen und kann das nachvollziehen."

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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