Flüchtlingshilfe in Dorfen:"Das Abschiednehmen war wichtig"

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Ein halbes Jahr nach dem Tod des Dorfener Flüchtlings Nfally Biayes wurde sein Mörder verurteilt. Adalbert Wirtz, der Leiter der Flüchtlingshilfe, spricht im SZ-Interview über Konsequenzen aus der Tat und die nach wie vor schwierige Situation der Flüchtlinge

Interview von Mathias Weber, Dorfen

Ein bedrückendes Kapitel der Dorfener Flüchtlingshilfe hat am vergangenen Mittwoch sein Ende gefunden. Mohamed S., der im Februar seinen Zimmergenossen Nfally Biayes in der Container-Unterkunft am Bahndamm so sehr mit einem Messer verletzte, dass der daraufhin starb, wurde vom Landgericht Landshut wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Adalbert Wirtz, der die Dorfener Flüchtlingshilfe leitet, zeigte sich damals - wie die ganz Stadt - schockiert.

SZ: Herr Wirtz, haben Sie, die Flüchtlinghelfer in Dorfen und vielleicht sogar die Flüchtlinge in den Unterkünften die Verhandlung im Landshuter Gericht verfolgt?

Adalbert Wirtz: Ich war teilweise selbst im Gerichtssaal, zusammen mit anderen Helfern. Wir haben die Sache natürlich verfolgt, in den Unterkünften wird das wahrscheinlich nicht der Fall gewesen sein. Im Laufe der vergangenen Monate hat man nicht mehr so oft über die Tat gesprochen.

Nach dem Mord im Februar hat die Stadtgesellschaft versucht, ihn zusammen mit den Flüchtlingen zu verarbeiten.

Wir haben eine Trauerfeier am Unteren Markt organisiert, und später wurde eine Linde in Erinnerung an Nfally gepflanzt. Das war sicher eine gute Sache, das Abschiednehmen war wichtig. Danach, glaube ich, ist man wieder zur Normalität übergegangen.

In einer Mitteilung hatte die Flüchtlingshilfe im Februar geschrieben, dass man überlege, ob "unsere Arbeit in den zu betreuenden Unterkünften noch weiter intensiviert werden" könne. Was hat sich seitdem verändert?

Wir unternehmen alles, um die Flüchtlinge in irgendwelchen Maßnahmen unterzubringen, also Praktika, Integrationskurse, Sprachkurse. Im Mai war der Stand so, dass von den 159 Menschen, die bei uns waren, 107 in Maßnahmen untergebracht waren. Einige haben auch Arbeit gefunden.

Kam Hilfe von staatlichen Stellen?

Wir haben uns speziell mit dem Landratsamt nach der Tat getroffen und geschaut, war man verbessern kann. Wir haben die Struktur des Vereins geändert, die Zusammenarbeit hat sich etwas verbessert. Eine Zeugin, eine Helferin, sagte vor Gericht, niemand wusste, warum der spätere Täter von einer Unterkunft in Eittingermoos nach Dorfen verlegt wurde.

Das ist ein Problem. Es kommt immer wieder zu kurzfristigen Umbelegungen, von denen manchmal das Landratsamt auch überrascht wird. Die Regierung organisiert die Umbelegungen, weil zum Beispiel irgendwo Leerstände sind. Wir wissen dann nichts von den neuen Bewohnern und erfahren auch nichts zur Lebensgeschichte - wegen des Datenschutzes. Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer gesagt, in einer Flüchtlingsunterkunft seien die Lebensumstände auch nicht anders als in einer Studenten-WG. Der Verteidiger widersprach dem, man spreche nicht dieselbe Sprache, und zu tun gäbe es auch nichts.

Sie sprechen ein generelles Thema an: die Perspektivlosigkeit. Die Flüchtlinge merken, dass sie nicht angekommen sind, dass sie nicht gebraucht werden und dass sie sich keine Existenz aufbauen können. Gerade in der Unterkunft am Bahndamm, wo viele Schwarzafrikaner leben, gibt es auch nie jemanden, der anerkannt wird. Die Albaner wurden schon alle nach Hause geschickt, und den meisten Afrikanern wird es auch nicht anders gehen. Wenn jemand die Unterkunft verlässt, dann weil er abgeschoben wird oder von sich aus geht. Es entsteht eine depressive Stimmung, eine Flüchtlingsmisere. Aber man darf ihnen auch nicht ehrlich sagen, dass sie keine Chance auf ein Leben in Deutschland haben. Wir Helfer erkennen jetzt immer mehr, dass wir bei den Behörden gegen Windmühlen kämpfen. Eigentlich haben nur noch Flüchtlinge aus vier Staaten gute Chancen, hier bleiben zu dürfen: Eritrea, Syrien, Iran und Irak.

Auch der verurteilte Mohamed S. war seit 2003 als Flüchtling in verschiedenen europäischen Staaten unterwegs.

Auch sein Leben war geprägt von Misserfolg. Er war ein einfacher Mann, der nur vier Jahre eine Koranschule besuchte. Er war ein ruhiger Mensch, das hat man auch im Gerichtssaal gesehen. Er war niemand, der seine Wut nach außen getragen hat, er hat immer alles mit sich selbst ausgemacht. Mit ihm im Zimmer war ein quirliger, offener Mensch. Der andere war lebensfroh, er fromm. Ich stelle mir vor, dass dann die letzte Auseinandersetzung der Tropfen war, der das Fass bei S. zum Überlaufen gebracht hat.

Im Februar hatten Sie auch geschrieben, dass Sie die Dorfener bitten, "ihr bisheriges Wohlwollen gegenüber den Flüchtlingen und Asylbewerbern von dieser traurigen Tat nicht beeinträchtigen zu lassen". Das ist nicht passiert. Normalerweise bekomme ich ja sofort einen Anruf, wenn mal eine Mülltonne schief steht, aber nach der Tat hat niemand bei mir angerufen - weil wir das sofort offen kommuniziert haben. Wir versuchen auch ständig, Verständnis für die Situation der Flüchtlinge zu schaffen und für die Frage, warum man flüchtet. Gerade wenn Flüchtlinge merken, dass sie keine Perspektive in Deutschland haben, ist es für die Helfer bestimmt auch nicht immer leicht. Es ist oft schwierig. Aber wir haben nach wie vor eine große Schar von Helfern, ungefähr 60 Leute sind aktiv dabei. Und dazu kommen ja noch die, die den Flüchtlingen Kultur anbieten oder Sport oder die die Radlreparatur organisieren. Es tut sich viel. Mir hat unser Bürgermeister gerade erst gesagt: "Gott sei Dank haben wir immer noch eine positive Stimmung."

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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