Flüchtlingshelfer in Dietersheim:Nicht alles Halligalli

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Vor einem Jahr sind die ersten Flüchtlinge nach Dietersheim gekommen. Die Anforderungen an die Helfer haben sich verändert, die ursprüngliche Euphorie ist verflogen. Geblieben ist jedoch das gute Gefühl, das Richtige zu tun

Von Alexandra Vettori, Dietersheim

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass die ersten Flüchtlinge in das alte Schulhaus von Dietersheim einzogen. Mitten hinein in das kleine Bauerndorf, das sich erst in den vergangenen Jahren zum aufstrebenden Wohnort junger Familien mausert, der Nähe zum Garchinger Forschungscampus wegen. Und nun das: Zwischen Friedhof und schicken Reihenhäusern schlurften jetzt Afghanen, Syrer und Kosovaren in Gummilatschen und Jogginghosen umher.

Franz Nadler erinnert sich noch sehr gut an den Dienstag, 24. März 2015, als die ersten 30 Flüchtlinge ankamen. Der 66-Jährige war zusammen mit seiner Frau Irene von Anfang an beim ehrenamtlichen Helferkreis dabei, "richtig aufgeregt waren wir, jetzt kommen sie endlich, die Flüchtlinge". Bald waren es 46, darunter sieben Kinder. Zusätzlich zur Grundausstattung aus Matratzen, Bettwäsche und Waschzeug vom Landkreis sammelten die Helfer Fernseher, Küchenutensilien, Möbel, Spielzeug, Kleidung und Fahrräder. Man konnte sich fast nicht retten vor Spenden.

Die Helfer zeigten den Ankömmlingen, wie man Fahrscheine löst, wo man günstig einkauft, wie es in der Schulwelt zugeht, bei Ärzten und in der Beamtenwelt. "Das war fast eine Euphorie", so Nadler.

Jetzt, ein Jahr später, ist davon nicht viel übrig geblieben. Das gute Gefühl, das Richtige getan zu haben, allerdings schon. Sie haben sich zusammen gerauft in der Unterkunft, es gibt keine großen Probleme, obwohl das Alte Schulhaus inzwischen mit 68 Bewohnern voll ist vom Keller bis zum Dach. Neun Kinder sind darunter und zwei hochschwangere Frauen. Die Kosovaren und Albaner sind weg, ihre Asylanträge wurden abgelehnt, jetzt leben hier vor allem Afghanen, Syrer, Iraker und Pakistani. "Wir haben viel erreicht", sagt Nadler, der Müll wird getrennt, der benachbarte Spielplatz nicht mehr belagert, niemand sitzt mehr auf der Friedhofsmauer, kein Nachbar hat sich mehr wegen Lärms beschwert.

Es ist fast eine Vorzeigeunterkunft geworden und zu verdanken ist das auch Franz und Irene Nadler, die fast elterlich dafür sorgen, dass Regeln und Hygienestandards eingehalten werden, sich aber auch keiner der Bewohner allein gelassen fühlt. "Das ist nicht alles Halligalli hier, wir streiten auch", sagt Nadler. Doch kaum ist einer der beiden im Haus, kommt ein Bewohner mit einem Zettel oder einem Anliegen daher. Auch das Gespräch mit der Freisinger SZ wird mehrmals unterbrochen, mal braucht jemand einen kleineren Schraubschlüssel, mal einen Kabelbinder. Franz Nadler hält einen vorüber kommenden Afghanen auf, er hat einen Job als Hilfsarbeiter, Nadler fragt nach dem Verdienstnachweis: "Ein Zettel, da steht drauf, wie viel Geld du verdienst." Der Afghane holt den Zettel, Nadler wird ihn später zum Landratsamt faxen, der Verdienst wird mit der Unterstützung verrechnet.

Dass die Stimmung der Deutschen den Flüchtlingen gegenüber umgeschlagen ist, seit der Kölner Silvesternacht, das ist auch den Bewohnern in Dietersheim nicht entgangen. "Sie haben gesagt, das waren ja Nordafrikaner", erzählt Nadler. Und er hat ihnen erklärt, dass das für viele Deutsche keinen großen Unterschied macht. Dass die Flüchtlinge leicht Fuß fassen, glauben die Nadlers nicht mehr. "Die meisten hier haben keine richtige Ausbildung und nach wie vor sind viele unzuverlässig und unpünktlich." Viele lernen nicht richtig Deutsch, werden in den Betrieben ausgenutzt, haben psychische oder Alkoholprobleme. Einzelne dagegen geben sich Mühe, haben schon Jobs als Lagerarbeiter oder in der Gastronomie. Andererseits, gibt Nadler zu bedenken, "wirken die Flüchtlinge fast wie ein Konjunkturprogramm, eine Million Matratzen, bis hin zu den Rechtsanwälten für Asylfragen. Da bekommen sie keinen Termin mehr", weiß er aus eigener Erfahrung.

Auch der Helferkreis ist kleiner geworden, die Hilfen werden komplizierter. Im Alltag auf der Straße finden sich die Flüchtlinge mittlerweile allein zurecht, jetzt ist es der Behördendschungel, in dem sie sich verheddern. Bei dem Thema wird Franz Nadler leicht zornig, vor allem, wenn es um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geht, das die Asylanträge bearbeitet. "Es ist fast ein Skandal. Wir haben Leute, die sind seit einem Jahr da und wissen nicht, was aus ihnen wird. Das kostet Geld und ist unmenschlich." Neun Bewohner haben im vergangenen Jahr einen positiven Bescheid bekommen, drei - außer den Kosovaren - sind abgelehnt, vier sollen nach dem Dublin-Verfahren nach Italien zurück, der Rest wartet. Es gab auch Bewohner, die in die Illegalität abtauchten.

Nadler erzählt vom Fall eines 17-jährigen Syrers, der seinem Vater mit einer anderen Flüchtlingsgruppe folgte, und im November zu ihm nach Dietersheim kam. Damals stellte er im Landratsamt einen Asylantrag, seither wartet man auf die Zuweisung des Bundesamts. "Nach fast fünf Monaten bekommt der Junge immer noch kein Geld und ist streng genommen auch nicht krankenversichert. Das Landratsamt kennt seine Situation, versucht ihm auch zu helfen, aber alles hängt im Bamf fest", schimpft Nadler.

Diejenigen, die bleiben dürfen, sind zwar in Sicherheit, aber auch noch tiefer im Dickicht der Behörden. Mit der Anerkennung als Flüchtling und dem Bleiberecht übernimmt das Job-Center ihre finanzielle Unterstützung, dort aber, so Nadlers Eindruck, ist man auch überfordert mit der neuen Klientel, wenn auch nicht ganz so sehr, wie die Flüchtlinge mit den komplizierten Anträgen. "Ich verstehe die zum Teil auch nicht", sagt Nadler.

Einmal die Woche kommt jetzt eine Helferin ins Haus, die sich allein damit beschäftigt. In München, weiß Nadler, gebe es bereits Büros, die für 100 Euro Anträge bearbeiten. Wer alle Formalien erfüllt hat, steht vor einem noch größeren Problem, wie das Beispiel der irakischen Familie Avdi zeigt. Sie wohnt seit einem Jahr hier, mittlerweile mit fünf Kindern - in einem 22-Quadratmeter-Zimmer. Jetzt sind die Avdis als Flüchtlinge anerkannt und damit Fehlbeleger. Doch eine Wohnung für eine siebenköpfige Familie mit geringem Einkommen ist fast nicht zu finden.

Resigniert haben die Nadlers trotzdem nicht, dazu gibt es zu viele schöne Erlebnisse. Franz Nadler erzählt von einem jungen Syrer, der ihn jüngst mit einem persönlichen Anliegen aufsuchte. Er habe jetzt eine deutsche Freundin, erzählte der Mann, sie sei im Krankenhaus und er wolle ihr ein Geschenk bringen, wisse aber nicht, ob man das tun könne. Nadler beruhigte ihn, Blumen und kleine Geschenke seien immer gut.

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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