Erdinger Polizei:Riskanter Berufsalltag

Lesezeit: 3 min

Polizisten werden immer öfter Ziel von Gewaltattacken (Foto: dpa)

Die Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamten steigt auch im Landkreis stark an: Im vergangenen Jahr hat es 83 Übergriffe gegeben, im Jahr davor waren es noch 53 Fälle

Von Anselm Schindler

Die Region Erding sieht sich mit einer gestiegenen Gewaltbereitschaft gegenüber Polizisten konfrontiert. Im Landkreis habe es im vergangenen Jahr 83 Übergriffe auf Polizeibeamte gegeben, sagte Hans-Peter Kammerer, Pressesprecher der Direktion Oberbayern Nord in Ingolstadt. Knapp die Hälfte davon seien aber Beleidigungen.

Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Fälle damit stark angestiegen. 2011 seien nur 53 Fälle verzeichnet worden, betonte Kammerer. 38 der Straftaten beträfen die Stadt Erding. In Dorfen blieb die Zahl der Übergriffe mit elf relativ überschaubar, sagte Armin Weinberger, stellvertretender Leiter der Dorfner Inspektion. Für den Flughafen München liegen laut Harald Lindacher von der Flughafeninspektion noch keine genauen Zahlen vor.

Gewalt ist auch Beleidigung

Bayrische Ordnungshüter sind häufig Zielscheibe von Angriffen. Jeder dritte Polizist wurde im vergangenen Jahr Opfer von Gewalt, wie aus dem kürzlich vorgestellten "Lagebericht 2012" des bayerischen Innenausschusses hervorgeht. Allerdings ist diese Zahl mit Vorsicht zu genießen: Unter Gewalt fasst der Bericht auch Straftaten wie üble Nachrede oder Beleidigung zusammen. Diese stellen auch das Gros der Vorfälle.

Seit nunmehr drei Jahren beobachtet das Innenministerium die Entwicklung genauer und stellt einen jährlichen Bericht zusammen. Den aktuellen präsentierte Landespolizeipräsident Waldemar Kindler am 5. Juni im Innenausschuss. Dem Bericht zufolge ging die Zahl der Übergriffe zwar leicht auf insgesamt 6732 zurück, Entwarnung könne aber nicht gegeben werden, erklärte Kindler. Die Zahl der verletzten Beamten sei von 1918 auf beinahe 2000 gestiegen. Erschreckend seien zehn versuchte Tötungsdelikte und vor allem der Mord an einem Augsburger Polizisten im Oktober 2011, sagte Kindler.

Besonders hohes Risiko in Augsburg

In Städten wird dem Bericht zufolge eher auf Beamte losgegangen als auf dem Land. Auch Regional gebe es deutliche Unterschiede. Gemessen an der Einwohnerzahl sind die meisten Übergriffe in Schwaben registriert worden, wobei es hier vor allem in der Stadt Augsburg für Polizeibeamte ein hohes "Opferrisiko" gebe. Im bundesweiten Vergleich liege Bayern mit seinen Zahlen im oberen Mittelfeld. Die Polizei reagiert auf die zunehmende Gewalt mit einer verbesserten Aus- und Fortbildung, sowie angepasster Schutzkleidung .

Die gestiegene Gewaltbereitschaft gegenüber den Ordnungshütern beschäftigt auch die Polizeiinspektionen in der Region: "Übergriffe auf Polizeibeamte sind ein gesellschaftliches Problem", betonte Anton Altmann, Leiter der Polizeiinspektion Erding. Einzelne Polizeibeamte stünden den Angriffen oft machtlos gegenüber, eine gesellschaftliche Veränderung müsse her.

Das beträfe aber keineswegs nur Polizeibeamte: Er habe auch erlebt, das "Feuerwehrkräfte bei Straßenabsperrungen von Autofahrern beschimpft werden", erläuterte Altmann. Ähnlich argumentierte auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Erding. Johann Hohner beklagte, das oft vergessen werde, das der "Polizist auch nur ein Mensch ist, der seinen Job macht". Die Hemmschwelle für Straftaten gegen die Polizei sei zu niedrig. Um sie anzuheben bedarf es laut dem Gewerkschaftsvorsitzenden einer Konfliktschulung, die "schon im Kindergarten ansetzt". Er verwies auf das Konzept der Streitschlichter, wie es auch an Schulen gehandhabt wird. Es gehe vor allem darum, "Toleranz zu pflegen". Strafverschärfungen hingegen seien nicht immer wirksam, "jemandem, der gerade Gewalt anwendet, ist die Strafandrohung egal", argumentierte Hohner.

Deshalb seien höhere Strafen nur bei Wiederholungstätern wirksam. Aber: Der vorhandene Strafrahmen müsse ausgeschöpft werden, nur dann sei Abschreckung effektiv. Außerdem müsse der Rechtsschutz für Staatsbeschäftigte verbessert werden. "Wenn ein Beamter im Dienst Schaden erleidet, ist der Gesetzgeber in der Pflicht", sagte Hohner. Ansonsten sei die Vorbereitung der Beamten auf Übergriffe gut, mehrmals im Jahr trainiere man Deeskalation. Dies führe dazu, dass der größte Teil aller Einsätze ohne Zwischenfälle verlaufe.

"Allein gelassen"

Allerdings "fühlen sich die Polizeibeamten oft allein gelassen", monierte der ehemalige Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Harald Schneider, der nun für die SPD im Landtag sitzt. Würden Beamte im Einsatz verletzt, so müssten sie sich selbst um den Rechtsbeistand kümmern. Auch die Sachschadensrichtlinie müsse dringend überarbeitet werden. Bis zu einer Grenze von 75 Euro müssen die Beamten einen entstandenen Schaden selbst tragen, sagte Schneider. Auch der Psychologische Dienst sollte aufgestockt werden: Der Dienst umfasst nur elf Psychologen, dies sei "bei Weitem zu wenig". Aufgabe des Dienstes ist unter anderem die Betreuung von Polizisten nach belastenden Einsätzen.

© SZ vom 11.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: