Dorfener Muslime:Von besonderem Wert

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Kein Platz bleibt leer: Jugendliche beim gemeinsamen Fastenbrechen in der Moschee in der Dorfener Kolpingstraße. (Foto: oh)

Die Jugendgruppe der Dorfener Moschee ist das jüngste Mitglied im Kreisjugendring. Ihre Mitarbeiter engagieren sich für die Gemeinschaft im Landkreis - und kritisieren die Stigmatisierung des Islam in Deutschland

Von Sebastian Fischer, Dorfen

Es ist die Ausnahme, dass nur zwei Herren auf der Holzbank unter dem weißen Zelt sitzen, auf dem kiesgesäumten Platz vor der Dorfener Moschee. Es ist auch die Ausnahme, dass der Aufenthaltsraum vor dem Gebetszimmer geräumig wirkt, weil dort nur Aysun Aydin und Emre Kavalci sitzen und zu türkischem Gebäck einladen. Die Ausnahme, sagt Kavalci, weil hier eigentlich viel zu wenig Platz ist.

Im Fastenmonat Ramadan zum Beispiel waren die Holzbänke voll. Denn da haben Kavalci, 24, und Aydin, 26, die muslimischen Flüchtlinge im Dorf zum Fastenbrechen eingeladen. Kavalci und Aydin sind die Vorstände der Dorfener Jugend der Ditib, dem Dachverband der türkisch-islamischen Moscheen in Deutschland. 170 Menschen sind der Einladung gefolgt, auch die Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe Dorfen, unabhängig von ihrer Religion. Für die Flüchtlinge von nebenan ist die Moschee nicht nur im Fastenmonat ein Ort, an dem sie in der Fremde zu Hause sind. Es ist durchaus besonders, was Kavalci und Aydin ganz beiläufig berichten: Die Ditib-Jugend Dorfen ist das jüngste Mitglied im Kreisjugendring des Landkreises, ihre Räume sind klein, die Mittel bescheiden - doch ihr Beitrag ist groß. Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) sagt: "Die bringen sich ein, das ist notwendig. Die Gemeinde leistet sehr gute Jugendarbeit."

40 Jugendliche im Alter von 14 bis 27 Jahren treffen sich regelmäßig am Sonntagabend in der Moschee, die in der Kolpingstraße unscheinbar hinter dem Flüchtlingsheim steht. Hier sprechen die Jugendlichen über ihr Leben, über Probleme und Sorgen, nicht nur religiöser Art. Zuletzt haben sie den Jüngeren geholfen, Bewerbungen zu schreiben, und Vorstellungsgespräche geübt. Für die Kleinen gab es einen Basteltag, für die Jungs einen Spieleabend an der Konsole und im vergangenen Jahr ein Fußballturnier, zu dem die umliegenden Gemeinden eingeladen waren.

Im Herbst 2014 ist die Ditib in den Kreisjugendring aufgenommen worden, gemeinsam mit der kleineren Islamischen Jugend Erding. Das war wichtig, sagt Aydin, auch wegen gelegentlicher finanzieller Unterstützung, und weil es eine Anerkennung ihrer Arbeit war. Als sie die auf einer Sitzung im Herbst vorstellten, kamen auch Fragen auf, etwa zur Geschlechtertrennung in der Moschee. Bei den Jugendlichen, sagt Kavalci, gibt es die gar nicht: "Es ist bei uns nicht so getrennt. Klein und groß, Frau und Mann kommen zusammen. Es läuft hier nichts grob ab." Aydin studiert in München Bauingenieurwesen, doch sie will in Dorfen bleiben, auch wegen der Gemeinde: "Hier ist es friedlich, hier fühle ich mich wohl", sagt sie. Die Moschee gibt es in Dorfen seit 1988. Zurzeit zählt die Gemeinde 77 Mitglieder. Akzeptanzprobleme, sagt Kavalci, habe es nie gegeben. "Vorbehalte gibt's überall", räumt er ein: "Aber hier nicht im großen Ausmaß."

Vorbehalte gibt es bundesweit immer mal wieder gegen die Ditib: Sie sei nicht unabhängig genug von der konservativen türkischen Regierung, sei eine Behörde des türkischen Staates. Auch bei den Treffen der Jugendlichen in Dorfen ist ein "Religionsbeauftragter" aus der Türkei dabei, der ihnen den Koran erklären soll. Natürlich, sagt Kavalci, der bei einer Versicherung arbeitet und in Erding Fußball spielt, gebe es Regeln, und die sind wichtig. Wie wichtig? "Auf einer Skala von eins bis zehn: zehn."

Kritik gab es auch, als ein Fall aus der Ditib-Jugend Dinslaken, eine von mehr als 900 Gruppen bundesweit, bekannt wurde: Dort hatte ein inzwischen zurückgetretenes Mitglied mit ausgestrecktem Zeigefinger posiert, dem Erkennungszeichen der Terrorgruppe IS. Dass sich junge Moslems radikalisieren, von Propaganda in den sozialen Netzwerken verführen lassen, ist ein Problem. Dass es Misstrauen am Islam schürt, findet Kavalci fatal: "Wenn in den Zeitungen steht, der IS morde im Namen des Islam, dann ist das eine Verallgemeinerung, die gar nicht geht."

Gürcan Mert, bundesweiter Ditib-Jugendkoordinator, räumt ein, dass es naiv wäre zu sagen, "dass es nicht passiert" - dass auch junge Muslime aus dem Umfeld der Ditib für radikales Denken empfänglich sein können. "Wir versuchen, über soziale, religiöse und kulturelle Werte in Workshops und Seminaren aufzuklären", sagt er. In Dorfen, glaubt Kavalci, würden radikal Denkende allerdings sofort auffallen. Und es sei nie etwas aufgefallen: "Das ist ein kleines Dorf, da kennt jeder jeden."

Probleme, den Eindruck vermitteln Kavalci und Aydin, gibt es bei der Ditib in Dorfen kaum. Nur wegen des Platzmangels waren sie schon ein paar mal beim Bürgermeister, doch der konnte ihnen auch nicht helfen. Mindestens einen Raum mehr hätten sie gerne, zuletzt haben sie das wieder gemerkt, als die katholische Gemeinde in der Moschee zu Gast war, es gab eine Führung durch die Räumlichkeiten. "Aber die", sagt Aysun Aydin und lacht, "war ganz schnell wieder vorbei."

© SZ vom 18.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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