Dorfen:Zufall und Fügung

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"Wie kommt der Davidstern nach Dorfen?" - mit dem Fund der Bachelor-Arbeit von Thea Fleischhauer wurde ein völlig vergessenes Kapitel Dorfener Geschichte wiederentdeckt

Von Florian Tempel, Dorfen

Wenn Doris Minet an den 24. Oktober 2011 zurückdenkt, ergreift sie noch heute ein ehrfürchtiges Erschauern. Seit Monaten hatten sie, Monika Schwarzenböck, Bettina Kronseder und Adalbert Wirtz erfolglos recherchiert. Die vier suchten als Arbeitskreis des Bündnisses "Dorfen ist bunt" gemeinsam nach einem geschichtlichen Thema, das exemplarisch für das Zusammenleben unterschiedlich geprägter Menschen in ihrer Stadt stehen könnte. Minet stand leicht verärgert im Rezeptionsbereich des Staatsarchivs in München, während die anderen oben im Lesesaal Bücher wälzten. Mit ihrer Dokumenten-Bestellung war irgendetwas schief gegangen. Sie musste warten. Nur um die Zeit zu vertreiben, schaute sie sich die Bücher und Broschüren an, die als Neuerwerbungen des Staatsarchivs für zwei, drei Wochen im Rezeptionsbereich ausgelegt werden. "Und dann nehme ich eines und sehe den Titel - was für ein Fund." Minet hatte, per Zufall oder durch Fügung, die Bachelor-Arbeit der jungen Historikerin Thea Fleischhauer aus Weimar in der Hand: "Die Jüdische Blumengartenschule: Ein Kibbuz jüdischer Displaced Persons im oberbayerischen Dorfen, 1946 - 1948."

Bei den Renovierungsarbeiten im Jakobmayer waren nur wenige Wochen zuvor an zwei Wänden im Treppenhaus ein gemalter Davidstern und das Bild einer Menora entdeckt worden. Niemand wusste zu sagen, wer sie dorthin gemalt hatte, wann und warum. Mit einem Mal war diese Frage gelöst und ein völlig vergessenes Kapitel Dorfener Geschichte wiederentdeckt. Der Fund der 70-seitigen Bachelor-Arbeit von Thea Fleischhauer war freilich nur die Initialzündung für ein großes und mehrjähriges Projekt, dessen vielschichtigen Ergebnisse und Erkenntnisse nun mit dem Buch "Wie kommt der Davidstern nach Dorfen?" zusammengefasst sind.

Die Ehepaare Rotberg und Weisman im Gemüsegarten der "Blumengartenschule" in der ehemaligen Villa des Zigelfabrikanten Albert Meindl. (Foto: oh)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebten bis 1948 etwa 300 Schoah-Überlebende in Dorfen. In fast jedem zweiten Haus in der Innenstadt waren zeitweise jüdische DPs einquartiert. Die Juden in Dorfen organisierten sich im Sommer 1946 mit einem eigenen Jüdischen Komitee. Das Komitee hatte seinen Sitz im ersten Stock des Jakobmayer, dem heutigen Veranstaltungssaal des Kulturzentrums. Außerdem existierte in jenen Jahren in Dorfen ein Ausbildungs-Kibbuz, in dem sich jüdische DPs auf ein Leben in Palästina vorbereiteten, die "Blumengartenschule", in der von den US-Behörden zu diesem Zweck beschlagnahmten Villa des Ziegelfabrikanten Albert Meindl.

Als im Mai 2012 die Wiederentdeckung diese Stücks Nachkriegsgeschichte erstmals öffentlich präsentiert wurde, war der Jakobmayer-Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Und es gab Neues zu berichten: Die Arbeitsgruppe hatte herausgefunden, dass doch einige jüdische Überlebende in Dorfen oder der näheren Umgebung gegeblieben waren. Zum Beispiel Jakob Slawny. Er heiratete eine Münchnerin und hatte mit ihr drei Kinder, einer davon ist Manfred Slawny, der bei der ersten Veranstaltung im Jakobmayer als Interviewgast auf dem Podium dabei war. Das aufgezeichnete Gespräch ist Teil des Buches.

Das Ehepaar Nahum und Celina Weismann mit Lea Sella, die 1946 in Dorfen auf die Welt kam. (Foto: Privatbesitz/OH)

Ein Jahr später, im Mai 2012 waren zwei Kinder aus der Blumengartenschule zu Gast in Dorfen: Lea Sella und Tova Halperin, die aus Israel anreisten, sind beide 1946 in Dorfen zur Welt gekommen. Sie berichteten über ihre bewegende Familiengeschichten. Tova Haplerin sagte damals, "um ehrlich zu Ihnen zu sein, ich wollte niemals, niemals nach Deutschland kommen". Sie habe es nur ihrem Vater zu Liebe getan, der aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst nach Dorfen reisen konnte. Nun aber, sagte Halperin, "bin ich sehr glücklich, dass ich hier bin".

Das vier Jahre nach Minets initialem Zufallsfund erschienene Buch "Wie kommt der Davidstern nach Dorfen?" hält all das und noch viel mehr, was sich in gründlicher und erfolgreicher Recherche zusammentragen ließ, auf 160 Seiten und mit zahlreichen Fotografien und Abbildungen fest: Es gibt einen Überblick, wo in Dorfen, im Landkreis Erding und in Nachbarorten jüdische Schoah-Überlebende in den Nachkriegsjahren wohnten. Weitere Kapitel beleuchten, auf Gesprächen mit mehr als 30 Dorfener Zeitzeugen basierend, die Sicht der Eingesessenen auf die DPs. Das Buch enthält eine Kurzversion von Fleischhauers Bachelorarbeit, stellt die Selbstorganisation des Jüdischen Komitees dar, berichtet über die koschere Metzgerei, die Schmul Cynamon am Unteren Markt eröffnete, und zeigt die Lebenswege Überlebender nach ihrem Weggang aus Dorfen auf.

Die Buchpräsentation am Samstag, 7. November, beginnt um 14 Uhr mit einem Rundgang durch Dorfen, Treffpunkt ist vor dem Jakobmayer. Um 16 Uhr beginnt die Lesung in der Jakobmayer-Gaststätte. Das Buch kostet 12,80 Euro.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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