Dorfen:Die verordnete Revolution

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Große Behinderteneinrichtungen wie Algasing stehen bei der Umsetzung der Inklusion vor gewaltigen Herausforderungen. Richtig schwierig wird es, wenn der Staat dabei auch noch Kosten einsparen will

Von Thomas Daller, Dorfen

Große Einrichtungen der Lebenshilfe wie das Pflegeheim der Barmherzigen Brüder in Algasing stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Im Zuge der Inklusion, der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, sollen stationäre Wohnplätze abgebaut werden. Stattdessen sollen kleine ambulante Wohnformen in zentraler Lage, mit kurzen Wegen zur Arbeit und nahe gelegenen Geschäften die Behinderten dabei unterstützen, ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Eine Gruppe von Politikern der Freien Wähler war am Dienstag in Algasing zu Gast, um sich zu informieren, wie das klappt.

In der Behinderteneinrichtung hat man für die Zukunft ein Konzept entwickelt, das den Namen "Algasing 2025" trägt und nach eigenen Angaben eine "Revolution" sei. Geschäftsführer Günther Ducke ist der Ansicht, in diesem Masterplan "stecken enorme Chancen für die Bewohner, weil sie schon bald aus einer viel größeren Palette an Wohn-, Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten wählen können". Auch den Mitarbeitern würden sich neue Möglichkeiten erschließen, weil sie sich fachlich weiterentwickeln und vielleicht sogar noch näher am Wohnort arbeiten könnten. Zentral in Dorfen soll bis März 2016 eine Außenwohngruppe mit bis zu sechs Personen entstehen. Allerdings sei noch nicht geklärt, wer die Kosten der Inklusion tragen soll: "Die Sozialverbände werden noch harte Verhandlungen führen müssen."

Darüber hinaus sind selbst manche Bewohner, die fit genug für so eine Wohngemeinschaft wären, gar nicht begeistert davon: "Ich fühle mich sehr wohl hier", sagte Tobias Henneberger, Vorsitzender des Heimbeirats, auf die Frage der FW-Landtagsabgeordneten Gabi Schmidt. Auch auf einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz ist er nicht erpicht: In der Werkstatt in Algasing fühle er sich ebenfalls sehr wohl und er möchte bleiben. "Hier habe ich keinen Zeitdruck, denn sonst habe ich Schwierigkeiten und kann mich nicht mehr konzentrieren." Henneberger wohnt bereits in einer kleinen Wohngemeinschaft; er kocht, putzt und wäscht selbst. Aber weil sich diese WG auf dem Gelände der Barmherzigen Brüder befindet, ist es nicht das, was mit der Inklusion erreicht werden soll. Eines ist jedoch klar: Dieses "Auswildern", wie man es in Algasing scherzhaft nennt, wird nicht gegen den Willen der Bewohner erfolgen. Insbesondere bei Menschen mit mehrfacher Behinderung würde das ohne intensive Betreuung gar nicht möglich sein. Franz Wieser, der an dem Algasinger Masterplan maßgeblich mitgewirkt hat, sagte, dass man in manchen Bundesländern seit zwei, drei Jahren diesen Schritt bereits vollzogen habe: "Dort hat man die Betreuung ausgedünnt. Übrig bleiben die schwierigen Bewohner - und die versucht man nun nach Bayern zu verfrachten. Wir haben ständig Anfragen." Wieser ergänzte: "Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass Inklusion für Mehrfachbehinderte nicht möglich ist. Machbar ist alles, aber es kostet halt mehr."

Schmidt und die FW-Bezirksrätin Marianne Heigl erläuterten, dass es nach ihrem Kenntnisstand nicht mehr, sondern eher weniger Geld geben werde. Und zudem soll die Summe, die jedes Bundesland erhält, gedeckelt werden. Damit will man verhindern, dass die Kosten aufgrund der demografischen Entwicklung aus dem Ruder laufen. Einzelheiten werde man aber erst im Herbst erfahren, wenn Bundesministerin Andrea Nahles (SPD) den entsprechenden Gesetzesentwurf vorlege.

Für die Behinderteneinrichtungen wird es somit nicht einfach werden, sich weiterhin zu finanzieren. Eine Möglichkeit sind die Werkstätten, erläuterte deren Leiter in Algasing, Hans Stadler: "Wir arbeiten auch als Zulieferer für Porsche, da kommt richtig Geld rein." Die Regel sind solche Aufträge jedoch nicht: Denn die GDW, die Dachorganisation der Werkstätten, so Stadler, "haut eine Massenabfrage bei 70 Werkstätten raus und dann unterbieten wir uns gegenseitig".

Geschäftsführer Günther Ducke hat es in der Algasinger Hauszeitung bereits erklärt, worauf es wohl hinauslaufen werde. Die Ordensleitung setze auf Fundraising. Das, so Ducke, sei eine "moderne Form des Spendensammelns".

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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