Amtsgericht Erding:Richter am Limit

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Banger Blick auf die Tafel: Wieder ein Flug ausgefallen? (Foto: Marco Einfeldt)

Nur in Frankfurt wird öfter wegen Verspätungen, Annullierungen oder Überbuchungen gegen Fluggesellschaften geklagt. Um die Flut von 4400 Verfahren in diesem Jahr zu bewältigen, bräuchte das Amtsgericht Erding sieben Stellen mehr.

Von Regina Bluhme, Erding

Kommt es am Münchner Flughafen zu Verspätungen, Annullierungen oder Überbuchungen, bedeutet das Ärger für Passagiere und Gesellschaften sowie jede Menge Arbeit für das Amtsgericht Erding. Mittlerweile machen dort Klagen gegen Fluglinien über zwei Drittel der Zivilverfahren aus. Wegen des Mehraufwands fehlen derzeit sieben Richterstellen, sagt Stefan Priller, Pressesprecher des Erdinger Amtsgerichts.

Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2011 wurden laut Stefan Priller am Amtsgericht Erding 1500 Zivilverfahren behandelt. "Heuer steuern wir auf 4400 Verfahren zu, gut zwei Drittel davon sind Entschädigungsverfahren gegenüber Fluglinien." Kommt es bei Flügen, die in München gelandet oder gestartet sind, zu rechtlichen Streitigkeiten, dann ist nämlich Erding zuständig. Bei den Klagen gegen Airlines liegt laut Priller die Kreisstadt deutschlandweit mittlerweile auf Platz Zwei. "Nur das Amtsgericht Frankfurt hat noch mehr zu bewältigen."

Dabei geht es in Erding mitunter recht international zu. Klagt zum Beispiel ein spanischer Reisender gegen Iberia, dann findet das Verfahren in Erding statt, wenn das Flugzeug in München gestartet ist. "Wir haben schon viel Auslandsbeteiligung auf beiden Seiten", sagt Priller. Was wiederum einen erheblichen Mehraufwand bedeute, zum Beispiel für die Zustellung der Klageunterlagen und für Vernehmungen; mitunter müssten Zeugen eingeflogen werden, auch schon mal aus Dubai.

Zugen müssen aus Dubai hier her kommen: Das Erdinger Amtsgericht. (Foto: Renate Schmidt)

Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Passagieren berufen sich die Fluglinien meist auf einen "außergewöhnlichen Umstand", so Priller. Liegt der vor, ist die Airline nicht entschädigungspflichtig. Gerade ist am Amtsgericht ein Verfahren wegen eines Flugausfalls anhängig. "Kurz vor dem Start ist der Pilot auf einer Eisplatte ausgerutscht, der Flug musste abgesagt werden", sagt der Pressesprecher. Kann sich die Fluglinie auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen oder müsste sie immer einen Piloten in Reserve halten? Das Urteil steht noch aus.

Ziemlich eindeutig ist laut Stefan Priller die Lage bei Verspätungen oder Flugausfällen aufgrund von Gewittern. Ein Blitzschlag ist ein außergewöhnlicher Umstand. Ebenso der Brand am Flughafen Rom, der im Mai 2015 die Reiseroute vieler Gäste durcheinander brachte. Erfolg mit seiner Klage hatte dagegen ein Passagier, dessen Flug Verspätung hatte, weil es auf der maroden Rollbahn einer griechischen Insel zu einem Reifenplatzer gekommen war.

Die Urteile aus Erding erweisen sich immer wieder als Grundsatzentscheidungen

"Wir sind das am meisten belastete Amtsgericht in ganz Bayern", sagt Priller. Das im April eröffnete Satellitenterminal am Flughafen habe seine Auswirkungen, "ganz zu schweigen, wenn die dritte Startbahn kommt." Nach Auskunft des Amtsgerichts hat Erding derzeit exakt 13,25 Richterplanstellen, darunter einige Teilzeitstellen. Das ist viel zu wenig, sagt der Pressesprecher. "Gemessen an der Zahl der Verfahren müssten es sieben Richter mehr sein." Noch eine Zahl nennt der Pressesprecher: Es gibt eine Kennziffer für die Arbeitsbelastung, die ein Richter bewältigen kann. "Sie wurde auf 1,0 festgelegt, in Erding beträgt sie 1,6." Ein kleiner Lichtblick ist in Sicht: Im Dezember wird laut Priller eine zusätzliche Richterstelle besetzt werden. Doch auch die Mitarbeiter der Geschäftsstelle benötigen dringend Verstärkung, betont er: "Hier bräuchten wir sogar 13 Stellen mehr."

Das Arbeitspensum wird weiter steigen, davon ist der Pressesprecher des Amtsgerichts überzeugt. "Man schätzt, dass in der Vergangenheit nur 20 Prozent aller Anspruchsberechtigten gegen Fluglinien geklagt haben", so Priller. Mittlerweile pochen aber immer mehr Fluggäste auf Entschädigungen. Ein Grund sind seiner Ansicht nach unter anderem die vielen Online-Rechtsberatungsportale, "bei denen Sie sich schnell informieren können, ob Sie mit Ihren Forderungen vor Gericht Aussicht auf Erfolg haben."

Die Urteile aus Erding erweisen sich immer wieder als Grundsatzentscheidungen, die in die Fachliteratur eingehen, so Priller. "Bei den meisten Verfahren bei uns geht es um Ausgleichsansprüche bis maximal 600 Euro. Bis zu dieser Höhe ist keine Berufung möglich." Somit entscheidet hier der Erdinger Richter sowohl in erster als auch in zweiter Instanz. Und deshalb kommt es gar nicht so selten vor, dass Verfahren am Amtsgericht Erding in juristischen Fachbüchern landen.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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