Entscheidung erst 2021:Hängepartie nach Kohle-Aus

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Stadtrat debattiert über Alternativen zum Kraftwerk Nord

Von Heiner Effern

Der Streit, wie künftig die Heizungen vieler Münchner gespeist werden, droht zu einer Hängepartie mit ungewissem Ausgang zu werden. Per Bürgerentscheid sind die Stadtwerke München (SWM) verpflichtet, den Kohleblock in ihrem Heizkraftwerk Nord bis Ende 2022 stillzulegen. Da dieser aber nicht nur Wärme liefert, sondern auch Strom, muss die Bundesnetzagentur das Abschalten genehmigen. Mit einer Entscheidung rechneten die Stadtwerke bisher im Jahr 2019. Im Wirtschaftsausschuss des Stadtrats erklärte nun aber der technische Geschäftsführer der SWM, Helge-Uve Braun, dass sich die Bundesnetzagentur erst 2021 festlegen werde. CSU und SPD sehen zudem noch eine weitere Gefahr: Sie bezweifeln, dass die entstehende Lücke in der Fernwärmeversorgung bis Ende 2022 zu schließen ist.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) versicherte aber, dass er sich auch nach Ablauf der Bindefrist des Bürgerentscheids im Herbst 2018 an das Votum gebunden fühlt. Theoretisch könnte der Stadtrat den Beschluss nach einem Jahr wieder einkassieren. "Wir sind am Anfang eines Prozesses. Den werden wir nicht nach zwölf Monaten beenden", sagte er in der Stadtratssitzung. Doch die kritische Haltung der Regierungsfraktionen in puncto Ersatz teilt er: Auch wenn die Stadtwerke derzeit verschiedene Szenarien prüften, halte sich "der Glaube in Grenzen", dass dies rechtzeitig zu realisieren ist. Dass die Münchner aufgrund eines politischen Streits im Winter 2022 ohne Heizung in kalten Wohnungen sitzen, schließt Reiter aus: "Wir werden kein Risiko eingehen."

Die Stadtwerke verfolgen derzeit zwei Strategien, um die Kapazitäten des Kohleblocks zu ersetzen. Sie prüfen eine zentrale Gas- und Dampfturbinenanlage am Standort des Kraftwerks Nord in der Gemeinde Unterföhring sowie den Bau von fünf bis sieben dezentralen Gasheizwerken über die Stadt verteilt. Dabei verlaufen die Gespräche mit dem Bürgermeister von Unterföhring positiv, wie SWM-Geschäftsführer Braun berichtet. Der habe Zustimmung signalisiert, bis Anfang Juni soll ein Änderungsantrag für den dortigen Bebauungsplan in den Gemeinderat kommen.

SPD-Fraktionschef Alexander Reissl bezweifelt trotzdem, dass dort ein neues Kraftwerk rechtzeitig errichtet werden kann. Es sei mit Widerstand von Bürgern und möglicherweise mit Klagen zu rechnen. "Jeder, der sich mit so etwas beschäftigt, weiß, dass es bis 2023 nicht funktionieren kann und wird." Eine Verzögerung hätte auch finanziell Folgen, weil dann die Förderung solcher Kraftwerke auslaufen könnte. Der Verlust der Stadtwerke für das Abschalten des Kohleblocks vor 2035 würde dann nach eigenen Angaben von 217 Millionen auf 358 Millionen Euro steigen.

Zugleich zeichnet sich schon jetzt Widerstand bei der Suche nach Standorten für dezentrale Heizwerke in der Stadt ab. Elf mögliche stellen die SWM gerade in den entsprechenden Bezirksausschüssen vor. Sie stießen auf teils brüske Ablehnung. Die ÖDP als Hauptinitiator des Bürgerentscheids forderte die SWM im Stadtrat auf, exakte Zahlen für möglicherweise entstehende Kapazitätslücken nach 2022 vorzulegen. Dem stimmte der Stadtrat zu. Nach Berechnungen der ÖDP seien diese deutlich geringer als bisher angegeben.

SPD-Fraktionschef Reissl griff den Bürgerentscheid und die ÖDP erneut scharf an. Ständig unterstellten sie den SWM, falsche Zahlen zu liefern. "Besserwisserei" und "Glaubensbekenntnisse" der ÖDP hätten die Stadt in eine absurde Situation geführt. Die Grünen warfen der SPD wiederum vor, "ein Schreckensszenario" zu entwerfen statt ernsthaft Lösungen zu suchen.

© SZ vom 18.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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