Entlaufene Wildtiere im Nationalpark Bayerischer Wald:Der Wolf, die Angst und viel Scheinheiligkeit

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Bejagt und gerne dämonisiert - im deutschen Märchen wie auch in der niederbayerischen Realität: der Wolf. Illustration: Carl Simon/imago/United Archives (Foto: imago stock&people)

SZ-Leser wundern sich über den Hass auf jene Tierart - und erinnern daran, um wieviel gefährlicher doch der Mensch selbst ist

"Jagd auf die Freigänger" vom 10. Oktober, "Arglistig, gierig, unersättlich" sowie "Unter Wölfen" vom 11. Oktober und die Suche nach entlaufenen Nationalpark-Wölfen:

Von wegen "ausgestorben"

Die lesenswerten Beiträge der SZ zum Thema Wolf zeigen die uralten, neu geschürten Ängste und die Gründe für das Aussterben der Wölfe. "Ausgestorben" ist ein seltsam beschönigendes Neusprech-Wort: Es klingt nach "still von uns gegangen". Bekämpft, verfolgt, ausgerottet, ausgemerzt . . . , diese Begriffe beschreiben den Umstand des "Aussterbens" ein wenig treffender. Es ist selbstverständlich, dass Weidetiere vor Wölfen geschützt werden müssen und dass einzelne, wenige Problemwölfe auch ins Gehege müssen. Dennoch zeigt die hasserfüllte Debatte, dass es viele Menschen gibt, die bedrohte Tiere besonders dann lieben, wenn diese weit genug von Deutschland entfernt leben (Motto: Rettet die Wale & Nashörner). Doch unser deutsches Nashorn ist der Wolf. Für ihn tragen wir Verantwortung.

Die vielen erschossenen Wölfe zeigen eines deutlich: Die Wiederkehr und das Erstarken steinzeitlichen Denkens in einer Gesellschaft, in der alle scheinbaren "Fraßfeinde" gnadenlos bekämpft werden. Doch im Gegensatz zum Märchen frisst heute nicht der Wolf die "sieben Geißlein", sondern der Straßenverkehr, der Feinstaub, der Klimawandel, die Neonicotinoide (als bienengefährlich eingestufte, umstrittene Insektizide; d. Red.) und die Atomkraft. Axel Mayer, Endingen

Rotkäppchens Problemwölfe

Jawohl, Herr Heigl (gemeint ist Josef Heigl, Vorsitzender der "Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes", einer Vereinigung, welche die Ausweitung des Nationalparks bekämpfte und eine sächsische Anti-Wolf-Petition unterschrieb; d. Red.). Wenn der Lupus (lat. für 'Wolf'; d. Red.) dann die Biotonnen geplündert hat, macht er sich auch noch über Rotkäppchen und die Oma her, das kann man so bei den Grimms nachlesen. Erst wenn alle Wölfe, Luchse, Problembären, Schlangen, Großechsen, Großkatzen, weiße Haie und sonstiges Raubzeug erledigt sind, können wir endlich in Frieden leben auf unserem Planeten. Dann gibt es nur noch harmlose, Methan furzende und Milchseen erzeugende Rindviecher auf der Welt. Für die muss dann bloß noch etwas mehr Wald gerodet werden, damit sie genug zu (fr)essen haben - die Menschen. Darum sage ich: Nieder mit dem Nationalpark Bayerischer Wald, da ist eh schon der Borkenkäfer drin. Legt dafür Weiden für Nutztiere an! Wer wirklich noch Wildtiere sehen will, soll sich doch bei Google oder youtube umsehen. Klaus Schonscheck, München

Grausam ist der Mensch

Sicherlich ist der Verlust von Weidetieren durch den Wolf immer inakzeptabel für deren Halter. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, hat dieser wirklich alles für den Schutz seiner Tiere getan? In vielen europäischen Ländern haben sich die Hirten mit der Anwesenheit des Wolfes arrangiert, indem sie unter anderem Herdenschutzhunde einsetzten. Hier aber wird wieder massiv nach dem Abschuss der Wölfe gerufen. Dass jedoch schon in den vergangenen Jahren circa 24 Wölfe illegal getötet und in vier Fällen der Kopf des erschossenen Tieres als Trophäe abgetrennt wurde, über diese Perversität wird nicht berichtet. Unsere anthropozentrische Einstellung ist der Kern des Konfliktes Mensch versus Wolf: Sowohl der Schaf- wie auch der Damwildzüchter halten sich nicht die Tiere um deretwillen. Nein, er erschießt und schlachtet sie. Wir dürfen millionenfach Tiere verstümmeln, quälen, vergasen, erstechen und erschießen. Wenn aber der Wolf sich seine Nahrung beschafft, dann ist das Geschrei groß. Was für eine Verlogenheit!

Jeder möge bitte in die Schlachthäuser gehen und sich dort mit dem unendlichen Leid der Tiere auseinandersetzen. Da sieht man die ungeborenen Kälbchen auf dem Abfall liegen, die aus der sterbenden Mutterkuh herausgeschnitten wurde. Zu tausenden werden in China Pelztiere in winzigen Käfigen gehalten, ihr Fell bei lebendigen Leib abgezogen, nur damit wir mit schicken Kapuzen durch die Gegend stolzieren. Es ließe sich eine ganze Seite dieser Zeitung mit der Auflistung weiterer unbeschreiblicher menschlicher Grausamkeit gegen die Tiere füllen. Nein, es ist nicht der Wolf, den diese Tötungsperversität auszeichnet: Wir sind es! Emsig und unaufhörlich sind wir dabei, Pflanzen- und die Tierwelt auszulöschen, weil wir ihnen keine eigene Existenzberechtigung zusprechen. Das Dumme an unserer halt-und grenzenlosen Destruktivität ist nur, das wir in absehbarer Zeit selbst Opfer unserer Täterschaft werden. Ulrike von Guretzky, Stahnsdorf

Hysterie wie einst bei "Bruno"

Arglistig, gierig, unersättlich - die Frage ist doch: Auf wen treffen diese Eigenschaften zu? Wer tötet denn andere aus Arglist, Habgier, Neid oder Missgunst und löschte aus lauter Gier und Machtbesessenheit andere Kulturen und Wertegemeinschaften aus? Und wer ist in seinem Streben nach immer mehr so unersättlich, dass er andere Ökosysteme ihres natürlichen Lebensraumes beraubt, sie in ihrer Vielfältigkeit einschränkt und letztendlich Natur und Umwelt zugrunde richtet?

Eigenschaften, die man gerne nicht hätte und mit denen man nichts zu tun haben will, sind am Gegenüber (Mensch oder Tier) leichter festzumachen. Und so wird auf den Wolf alles Raubtierhafte, Animalische und Zerstörerische und Böse übertragen. Es ist schon erstaunlich, wie sechs, aus einem Gehege im Bayerischen Wald entlaufene Wölfe, dessen Verriegelung Unbekannte aus Dummheit oder aus Kalkül aufgebrochen haben, die Medien beschäftigen können. Wie sie sofort im Unterbewusstsein des Menschen schlummernde Ängste vor dem Wilden, Unbezähmbaren und Unabwägbaren wecken und damit verbundene Interessenskonflikte - einerseits Schutz der Natur, andererseits Schutz ökonomisch-menschlicher Interessen - an die Oberfläche katapultieren können.

Wie groß das Bedürfnis des Menschen nach umfänglichem Schutz und Sicherheit in allen Bereichen seines Lebens ist und wie sehr er nach Kontrolle und Kontrollierbarkeit seiner Umgebung strebt, macht dieser Vorfall deutlich. Es wird ein Klima der Angst geschaffen infolge von interessengesteuerten Behauptungen, gestützt durch die kulturell-anthropologisch begründete Furcht des Menschen vor allem, was wild und fremd ist, und einem Raubtier gleicht. Ein friedliches Nebeneinander von (wildem) Tier und (gezähmter) Zivilisation ist für viele Menschen nicht denkbar und vorstellbar.

Alles, was dem Menschen gefährlich werden könnte, muss vernichtet (ausgerottet, erschossen, eliminiert) oder wenigstens hinter festen Gittern und sicheren Gehegen eingesperrt und weggesperrt werden. Der "Mensch als Krone der Schöpfung" als welche der Mensch sich sieht, macht keine gute Figur bei all dem Halali und Aufruhr, die den Versuch begleiten, die Tiere - zumindest die noch frei herumlaufenden - lebend einzufangen.

Wie merkwürdig und gestört das Verhältnis des Menschen zu wilden Tieren ist, zeigte sich in vorangegangenen Jahren an dem Medienrummel rund ums Eisbärenbaby Knut und dem anhaltenden Besucheransturm im Berliner Zoo, oder an der von den Medien begleiteten Hetzjagd auf den Braunbären Bruno, die schon touristisch-hysterische Züge annahm, bis er endlich erlegt wurde.

Für mich ist der Mensch das eigentliche Raubtier: Statt sich seines Verstandes und Wissens zu bedienen und in Krisensituationen angemessen und vernünftig zu agieren und zu reagieren, handelt er instinktgeleitet und panisch nach dem Motto "fressen oder gefressen werden". Lilia Kiene, Regensburg

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© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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