Zeitlos beliebte Wohngegend:Eine echte Alt-Poingerin

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Im Norden der Gemeinde legen Archäologen auch eine kleine Grabstätte frei. Daneben bieten sich spannende Erkenntnisse darüber, wie die Besiedlung vor mehr als 4000 Jahren ausgesehen hat

Von Barbara Mooser, Poing

Es pladdert auf das Blechdach des Bürocontainers, schwere Tropfen werden zu einem Wasserfall, dann krachen auch noch Hagelkörner auf das Metall. "Dabei hätten wir so ein schönes Grab!", sagt Helmut Sloim, Sprecher der Poinger Bauträger, und wirft einen unglücklichen Blick nach draußen, wo man durch die Regenschwaden fast die ein paar Meter weiter geparkten Autos nicht mehr erkennt. Die Alt-Poingerin, die momentan dort ruht, wo ein weiterer Teil von Neu-Poing entsteht, muss deshalb an diesem Donnerstagnachmittag noch ein wenig länger auf ihre Besucher warten - die ersten, die sie seit mehr als 4000 Jahren wieder zu Gesicht bekommen.

Denn auf der gewaltigen, öden Kiesfläche am nördlichen Ortsrand der Gemeinde haben die Archäologen wieder Erstaunliches und Faszinierendes aufgetan, ein erneuter Beweis dafür, dass Poing schon immer eine bevorzugte Wohnlage war, auch in der späten Steinzeit oder frühen Bronzezeit, so ganz exakt haben die Archäologen die Funde im künftigen W7 noch nicht datieren können. Hätte man im dritten Jahrtausend vor Christi Geburt auf das Areal geblickt, hätte man wohl viele Holzhäuser gesehen; größere, mehrschiffige Wohnhäuser ebenso wie kleine Wirtschaftsgebäude und Lagerhäuser.

An mehreren Stellen haben die Archäologen die Fundamente der Häuser genauer untersucht, wie Ulrich Schlitzer zeigt. (Foto: Christian Endt)

Geht man heute über die Kiesfläche, die nur etwa einen Meter unter dem Oberboden lag, fallen viele kreisförmige, dunklere Flecken auf. "Das sind Pfostenlöcher", erläutert Grabungsleiter Ulrich Schlitzer von der Firma Planateam. Die frühen Poinger verankerten die Holzbalken ihrer Häuser in der Kiesschicht. Zwar verrottete das Holz, aber die organische Materie hebt sich dennoch auch nach Jahrtausenden noch von der Umgebung ab. Mindestens 50 Hausgrundrisse konnten die Archäologen bisher rekonstruieren. Sie untersuchen schon seit Mitte Januar das riesige Areal am Bergfeld, mehr als 16 Hektar sind es. "Das ist einzigartig, dass man die Gelegenheit hat, eine so große zusammenhängende Fläche zu untersuchen", sagt der Fachmann.

Doch nicht nur die frühen Wohnungen der Poinger erforschen die Archäologen, sie werden in den nächsten Tagen und Wochen auch einige der früheren Bewohner sorgsam bergen. Voruntersuchungen haben gezeigt, dass sich auf dem Areal neben einem Einzelgrab eine kleine Nekropole befindet, die sieben oder acht Gräber umfasst. Eines der Gräber haben Schlitzer und seine Mitarbeiter bereits freigelegt. Ein kleines Knochenhäufchen sieht man, als er die schützende Plane wegzieht; auch für einen Laien sind die Rippen und ein Kiefer mit einigen Zähnen erkennbar. Ein kleines, kugeliges Gefäß zu Füßen des Skeletts hat die Jahrtausende fast unbeschädigt überstanden, nur am Rand ist es ein wenig abgesplittert. Diejenigen, die die Tote hier bestattet haben, wollten ihr etwas Schönes mit auf den Weg geben, liebevoll hat jemand das Tongefäß mit Linien verziert.

(Foto: Christian Endt)

Dass es sich um eine Frau handeln muss, die in diesem ersten Grab gefunden wurde, schließen die Archäologen aus der Ausrichtung des Körpers und der Lage des Grabes. Die Grube wurde in Nord-Süd-Richtung ausgehoben, der Kopf liegt im Süden, der Blick geht nach Osten. "Das ist ein Hinweis auf eine verstorbene Dame", sagt Ulrich Schlitzer. Mehr über diese Dame weiß man noch nicht. Später, im Labor, wird man vielleicht herausfinden können, wie alt sie zum Zeitpunkt ihres Todes war und wie sie gestorben ist. Die moderne Wissenschaft eröffnet sogar noch viel mehr Möglichkeiten, beispielsweise könnte eine DNA-Analyse zeigen, ob diese Ureinwohnerin Poings mit den Toten in den anderen Gräbern verwandt war. Ob dies tatsächlich geschieht, ist immer auch eine Frage des Geldes, sicherheitshalber arbeiten die Archäologen aber mit Handschuhen, damit die Knochen nicht durch fremde DNA verunreinigt werden.

Die Ausgrabungen selbst finanziert die Arbeitsgemeinschaft der Bauträger, die dann auch die Neubauten auf dem Areal realisieren will. So ist es auch gesetzlich geregelt. Nicht überall allerdings scheint die Zusammenarbeit mit den Denkmalschützern so gut zu klappen wie in Poing. "Wir kommen immer gern nach Poing", sagt Martin Pietsch, der am Landesamt für Denkmalpflege Gebietsreferent für den Landkreis Ebersberg ist. Poing sei nicht nur ungewöhnlich reich an Geschichte, auch die Zusammenarbeit sei "immer äußerst unkompliziert". Denn die derzeit laufende Ausgrabung ist bei weitem nicht die erste, unter anderen Wohngebieten waren bereits ebenfalls Relikte aus der späten Steinzeit über die Bronzezeit und die Zeit der Römer bis zum Mittelalter frei gelegt worden. "Beispiellos in ganz Süddeutschland" sei das, sagt Pietsch. Lächelnd weckt er auch Hoffnungen, dass möglicherweise noch andere Grabbeigaben außer Keramik und Beinscheiben zu Tage kommen. In Eching bei Freising habe man bei Grabungen aus einer ähnlichen Zeit sogar Gold gefunden, erzählt er.

Die aktuellen Funde an der Grabungsstätte. Die Archäologen erforschen nicht nur Wohnungen, sondern auch Gräber. (Foto: Christian Endt)

Was auch immer die Archäologen in den nächsten Monaten noch finden, es soll geborgen und gut aufbewahrt werden, wie Helmut Sloim verspricht. Sollte sich eines Tages doch noch der lang gehegte, aber finanziell bisher nicht realisierbare Wunsch nach einem eigenen Museum in Poing erfüllen, könnte auch diese Grabung spannende Ausstellungsstücke bieten.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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