Weitere Aufführungen:Reinheitsgebot und Reifeprüfung

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Da kann einem schon mal schwindlig werden: "A Flascherl vom Glück" wartet mit vielen unerwarteten Wendungen auf. (Foto: Christian Endt)

Die Theatergruppe der Aubergler Poing zapft "A Flascherl vom Glück" - eine Familien-Gaudi, die bedenkenlos an alle Altersklassen ausgeschenkt werden darf

Von Victor Sattler, Poing

Das Geheimnis einer funktionierenden Brauerei ist eine funktionierende Brauerfamilie. Betty (Petra Graf) hat keines von beidem: 300 Jahre Familiengeschichte bilden sich Generation für Generation in den Sorten ihrer Fischbräu-Biere ab, doch aktuell muss auch nach drei Maischverfahren jeder zweite Biersud weggeschüttet werden, weil er so greislig schmeckt. Bettys Personal, wenngleich nicht blutsverwandt, gibt eine schrecklich glaubwürdige Familie ab - von der dementen Köchin Traudl (Helga Lanzl) bis zur aufmüpfigen Teenager-Kellnerin Lisa (Christina Falterer). Erst der neue Bräugeselle Ringo (Marinus Schimpf) kann wieder Pep ins Bier und Leben bringen.

Die Theatergruppe des Poinger Trachtenvereins Aubergler ist selbst eine kleine Familie, nicht nur weil sich einige Nachnamen im Programmheft wiederholen. Regisseurin Sabine Mittermeier strahlt, mächtig stolz darauf, was der Truppe bei der Premiere ihrer Inszenierung von Christian Lex' Stück "A Flascherl vom Glück" gelingt. Jeder der neun Darsteller, die das Wirtshaus in verschiedenen Konstellationen bevölkern, verschreibt sich dem Publikum, lässt seine theatralischen Mienen, sein Leid, seine Garstigkeit ganz ausweiden, steht gleichzeitig aber in aufmerksamer Wechselwirkung zu den Kollegen. Alle sind aufeinander eingespielt, so dass gar nicht auffällt, dass neben Helga Lanzl, die bereits seit 20 Jahren unter Regisseurin Mittermeier für den Trachtenverein zetert, ein 18-jähriger Marinus Schimpf zum allerersten Mal auf der Bühne steht. Der blufft seine Unerfahrenheit tapfer weg, indem er oben ohne wild mit der 34 Jahre älteren Chefin seines Charakters knutscht und fummelt: Die einsame "oide Schachtl" Betty und ihr "dahergelaufener Hallodri" Ringo werden mit ihrer Affäre im Jahr 1967 schnell zum Ortsgespräch.

Ringo ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die neue Zeit hatte schon lang beim "Fischbräu" an die Tür geklopft, und Traudls Suppenkelle empfängt bereits Radiowellen. Das Farbfernsehen ist damals "das Licht, das aus der Zukunft hereinscheint", die Supermarktkette "Billig & Besser" drängt Kramerin Gusti (Publikumsliebling: Wilma Mayr) aus dem Geschäft - aber jeder Versuch, diesen Trends zu folgen, muss zwangsläufig peinlich enden, wie Lisa als Kosmopolitin mit Taft-Turm auf dem Kopf und Stelzen an den Füßen beweist. Zeitgeist war eben auch in der Vergangenheit schon gruselig. Ringo hingegen wagt Experimente (Traudl schüttelt es, als sie zum ersten Mal sein Pils probiert), spielt amerikanische Platten, die keiner aussprechen kann, und er amerikanisiert nicht zuletzt die Handlung: Betty macht plötzlich eine Pretty-Woman-Verwandlung durch und lässt als Mrs. Robinson ihren eigenen Dustin Hoffman, den Ringo, die "Reifeprüfung" bei sich ablegen. Auch das Publikum scheint Amerika geleckt zu haben und begleitet das Stück mit original Fernsehstudio-Geräuschen: Es gibt Szenenapplaus, pfeift frech, als Betty frisiert und umgestylt ist, und amüsiert sich über den Sitcom-Slapstick so verlässlich, als käme das Lachen vom Band.

Runterexen kann man "A Flascherl vom Glück" nicht, denn es dauert drei Stunden. Musikkapelle und Bewirtung sorgen aber, während Betty ihren zweiten Frühling durchlebt, in der Aula aber für schöne Frühlingsfest-Stimmung. Das Norgerl, der dritte Akt, erfordert indes starke Nerven, denn hier jagt ein Plot-Twist den nächsten. Ringo, der eigentlich Adolf heißt, hat noch einen anderen Grund, sich Ringo zu nennen, als bloß den offensichtlichen: Er ist nämlich ein Doppelagent der Konkurrenz, Sohn von Bettys Verflossenem Maierhofer (Andreas Hermann), der dem "Fischbräu" ein Ende setzen will. Damit nicht genug, Maierhofer stellt sich als uneheliches Kind der Fischs heraus (Inzest!). Aber damit noch nicht genug, Betty ist tatsächlich gar kein leibliches Kind der Fischs (doch kein Inzest!).

Der schönste Plot-Twist: Betty bleibt am Ende bei keinem der beiden wetteifernden Gespielen, sondern verlässt ihre Brauerei, um die Welt zu sehen. Im mittleren Alter nochmal zu was Neuem, Unerhörtem aufzubrechen, das legt auch Regisseurin Sabine Mittermeier den Zuschauern ans Herz. Ist das der Untergang der traditionellen Kernfamilie? Wohl nicht. In Poing jedenfalls zeigen die Aubergler ein starkes Stück, über das Lausbuben mit ihren Opas und Frauen mit ihren Männern mal wieder gemeinsam lachen können.

Weitere Aufführungen sind am Freitag und Samstag, 13./14. April, um 20 Uhr, sowie am Sonntag, 15. April, um 18 Uhr in der Anni-Pickert-Schule zu sehen. Einlass eine Stunde vorher. Karten gibt's im Buchladen im City-Center und an der Abendkasse.

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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