Vortrag:Gottes Wort hinter Gittern

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Von Stadelheim nach Ebersberg: Pfarrerin Gabriele Pace. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zehn Jahre lang war Gabriele Pace Gefängnis-Seelsorgerin in Stadelheim. In Ebersberg erzählt sie von ihren Erfahrungen

Von Jan Schwenkenbecher, Ebersberg

"Grüß Gott, ich bin in der Schule, meine Schwester ist an der Uni und meine Mutter ist im Gefängnis." Diesen Satz hörte man eine Zeit lang, rief man bei Gabriele Pace zu Hause an und niemand außer dem Anrufbeantworter ging ran. Pace war zwar von 1996 bis 2006 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim. Allerdings nicht als Verurteilte, sondern als Gefängnisseelsorgerin. Aus dieser Zeit berichtete sie nun bei der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde in Ebersberg. Pace ist seit Juni in Vertretung für den erkrankten Pfarrer Hartmut Thumser in der Gemeinde.

Rund 68 000 Gefangene sitzen derzeit nach Angaben des statistischen Bundesamtes in Deutschlands 183 Gefängnissen. Knapp 12 000 davon verteilt auf die 37 bayerischen Gefängnisse. Pace selbst war in Stadelheim, wo es rund 1500 Inhaftierte gibt, davon 160 Frauen. Sie arbeitete größtenteils mit Gefangenen, die sich in Untersuchungshaft befanden, das sind aktuell etwa 70 Prozent der Insassen.

Zunächst gab Pace den Zuhörern, die im Stuhl-Halbkreis um sie herum Platz genommen hatten, einen kurzen Überblick über die Haftbedingungen: Die U-Haft sei auf maximal ein halbes Jahr begrenzt, die Insassen müssten Gefängniskleidung tragen, das Handy komme weg, damit keine Beweise vernichtet werden, einen Fernseher könnten die Gefangenen zwar mieten, für viele sei das aber zu teuer. "Für die Häftlinge", so Pace, "ist die Untersuchungshaft ein Schock". Von der Polizei überwältigt, in Handschellen abgeführt, würden die Verhafteten aus dem Leben gerissen. "Plötzlich sind sie in einer rund acht Quadratmeter großen Zelle eingesperrt", so Pace. 23 Stunden lang fände das neue Leben dann auf einem Raum statt, der nicht größer sei, als vorher zuweilen das Badezimmer. Und das zu zweit, mit einem anderen Häftling.

Wie Pace im Anschluss an die Veranstaltung erklärte, ist die Arbeit der Seelsorger auch für sie selbst belastend. Zwar brauchen Pfarrer und Diakone keine spezielle Ausbildung, um als Gefängnisseelsorger zu arbeiten. Die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, ein Zusammenschluss der knapp 300 evangelischen Seelsorgern in deutschen JVAs, empfiehlt aber eine Weiterbildung, bevor die Geistlichen ihren Beruf beginnen. Und bietet diese auch gleich an. In insgesamt sechs Wochen, verteilt auf zwei Jahre, werden die Kursteilnehmer auf die Zeit im Gefängnis vorbereitet. Pace hospitierte vor ihrem Arbeitsbeginn ebenfalls und war je eine Woche in JVAs in Eich, Landsberg und Nürnberg.

Spannend schilderte Pace den Alltag der U-Häftlinge. Weniger aufregend, so erzählte sie anschließend, sei ihre eigentliche Arbeit. "Als Pfarrer oder Diakone haben wir die Aufgabe, Menschen heil zu machen", sagt Pace. Ob und vor allem wie das klappt, erfuhren die Hörer nicht. Sie habe immer versucht, mit den Häftlingen über Positives zu sprechen, die Vaterrolle, das Musiktalent.

Eine konkrete Geschichte blieb aus. Zwar unterliegen Gefängnisseelsorger der Schweigepflicht, haben auch das Zeugnisverweigerungsrecht. Ein paar anonymisierte Fälle hätten sich die Besucher des Abends aber sicherlich gewünscht. Das spiegelten auch die Wortmeldungen in der anschließenden Fragerunde wider: "Was glauben denn Gefangene jetzt eigentlich?", "Mit wie vielen der knapp 1500 Gefangenen haben Sie sich getroffen?". Und so bezogen sich die "praktischen Erfahrungen aus der Gefängnisseelsorge", wie sie im Veranstaltungstitel angekündigt waren, lediglich auf die Haftbedingungen, nicht aber auf die eigentliche seelsorgerische Arbeit der Pfarrerin.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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