Steinhöring:"Die Vorurteile haben sich kaum verändert"

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Die Kulturwanderung der Ägyptologin Karin Dohrmann kommt am 1. Mai nach Ebersberg

Interview von Rita Baedeker, Steinhöring

In den großen Türkenkriegen des 17. Jahrhunderts wurden tausende von Kriegsgefangenen gemacht, die als Beutetürken nach Deutschland verschleppt wurden. Nach Sprachunterricht und Bibelkunde wurden diese Gefangenen, etwa im Kloster Attel bei Wasserburg, getauft und mit deutschen Namen in die Gemeinschaft aufgenommen. "Türkentaufen" waren so beliebt wie Hexenverbrennungen und Hinrichtungen. Ehen beschleunigten die Integration, Nachnamen wie "Türk", "Osmann" und "Weißenburger" liefern Hinweise auf den Migrationshintergrund. Dem Weg dieser Gefangenen, die durch den "Türkenschreck" Max Emanuel anno 1683 und 1686 nach Bayern deportiert wurden, widmen sich die Kulturwanderungen der Ägyptologin, Kunsthistorikerin und ehemaligen Vorsitzenden des Kunstvereins Ebersberg, Karin Dohrmann. Nächste Station ist am 1. Mai Ebersberg. Der Weg führt von der Klosterkirche St. Sebastian entlang der Klosterseen durch den Forst zum Waldmuseum.

SZ: Was war der Auslöser für diese Wanderidee? Das Schicksal der Flüchtlinge oder einfach nur historisches Interesse?

Karin Dohrmann: Die islamische Kultur interessiert mich als promovierte Ägyptologin schon immer und so verfolge ich die aktuelle politische Situation im Orient sehr genau. Die kulturellen Missverständnisse und Vorurteile zwischen Morgen- und Abendland haben sich in den Jahrhunderten kaum verändert. So hat mich das Buch "Der Mann aus Babadag" von Markus Krischer, das letztes Jahr erschienen ist, begeistert. Aus dieser Lektüre ist die Idee entstanden, den Weg, den die "Beutetürken" Max Emanuels 1686 von Wasserburg nach München beschritten hatten, in Form einer Serie von Kulturwanderungen nachzugehen. Jede Wanderung hat einen Schwerpunkt, der die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, den kulturellen und sozialen Austausch und die politische Situation der damaligen Zeit beleuchtet.

In Schloss Hart im Atteltal, wo Baptist Georg Freiherr Lidl, der erste "Husar" Max Emanuels lebte, fanden einige der verschleppten Türken eine Heimat. (Foto: Karin Dohrmann)

Sehen Sie historische Parallelen zu der Situation der sogenannten Beutetürken damals und den Migranten heute, gerade auch im Verhältnis der heimischen Bevölkerung zu den Zuwanderern?

Die damaligen Osmanen waren keine Flüchtlinge, sondern Kriegsbeute, die als Luxusgüter im klösterlichen oder adeligen Diensten standen. Wie heute begegnete die einheimische Bevölkerung diesen Fremden zum Teil mit Neugier, zum Teil mit Angst. Schließlich waren es der politischen Propaganda zufolge feindliche Heiden, die mordend, brandschatzend und vergewaltigend in den europäischen Raum eingedrungen waren. Was aber als sogenannte Beute nach Bayern kam, das waren in Wirklichkeit Kinder und Jugendliche im Alter zwischen drei und zwanzig Jahren, die schwer traumatisiert waren. Nach historischen Quellen hatte die Habsburger Armee mit unglaublicher Brutalität alles niedergemetzelt, was ihnen vor die Waffen kam. Auch die heutigen Flüchtlinge sind schwer traumatisierte Menschen, die Krieg und Gewalt auf ihrer oft Jahre dauernden Flucht erlebt haben.

Am 1. Mai machen Sie Station in Ebersberg. Woher weiß man, dass die osmanischen Zwangseinwanderer durch Ebersberg kamen?

Gibt es Schriftquellen? Wasserburg, wo die Beutetürken anlandeten, war damals der kurfürstliche Hafen der Stadt München. Er war über die Wasserburger Landstraße, die heutige Bundesstraße 304, direkt mit München verbunden. Der Verlauf hat sich seit der damaligen Zeit nicht geändert und geht über Edling, Steinhöring, Ebersberg und Zorneding durch den Münchner Osten ins Tal. Der Fußmarsch dauerte zwei Tage und so kamen die 296 Beutetürken am 23. Oktober 1686 in München an. Datum und Reiseweg sind in einem Bericht der bayerischen Hofkammer vom 12. August 1687 an den Kurfürsten verzeichnet worden.

Karin Dohrmann aus Steinhöring ist Ägyptologin, Kunsthistorikerin und veranstaltet Reisen für Menschen mit (und ohne) Hund. (Foto: Dohrmann)

Sie veranstalten Ihre Wanderungen auch für Hundebesitzer. Welche Rolle spielten Hunde zu Zeiten Max Emanuels?

Edle Hunde waren zur damaligen Zeit diplomatische Geschenke. Da man sich auch zur Jagd traf, um politische Bündnisse zu stärken, waren Hunde ständige Begleiter des Adels. In Schloss Nymphenburg wurden 300 Jagdhunde zur Parforcejagd eingesetzt, und in Lustheim sind die Jagden Max Emanuels in monumentalen Bildern erhalten, welche die bunte Jagdhunde-Welt der damaligen Zeit dokumentieren. Und auch im Alltag waren Hunde allgegenwärtig, nicht nur in herumstreunenden Meuten, welche die Reisenden belästigten, sondern auch in den kleinen "Klingelhunden", die die Stadthäuser bewachten. Die großen Schiffszüge auf dem Inn wurden von Bauernhunden begleitet, wie das Wandfresko in der Tränkgasse in Wasserburg dokumentiert. Hunde gehörten zum Leben viel selbstverständlicher dazu als heute.

Weitere Wanderungen führen nach München (19. Juni), Schloss Nymphenburg (21. August), Schloss Schleißheim (4. September) und zur orientalischen Krippenwelt im Bayerischen Nationalmuseum (11. Dezember). Anmeldung und Infos: Tel. (08094) 90 72 71, oder karin.dohrmann@gmail.com

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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