Serie "Kraftakt":Reine Frauensache

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Männer sind im Pflegesektor eine Ausnahme. Sie sind zwar bei den Arbeitgebern sehr gefragt, werden aber bisweilen von Patienten zurückgewiesen

Von Carolin Schneider

Wenn sich Florian L. für eine neue Arbeitsstelle bewerben würde, könnte er sich schon fast sicher sein, den Job zu bekommen. Dafür gibt es drei Gründe: Er arbeitet als Pfleger, ist ein Mann und hat Erfahrungen in der Psychiatrie. "Eine Kollegin hat mal zu mir gesagt, das ist für einen Arbeitgeber wie ein Sechser im Lotto", erzählt Florian L., der eigentlich anders heißt. Er arbeitet als Vollzeitkraft in einem psychiatrischen Heim in der Region. Als Nebenjob ist er bei der Caritas in der ambulanten Pflege. Zwei Jobs, beide im Schichtdienst und mit hohen Belastungen - zu viel wird es Florian L. dennoch nicht. "Wenn es mir keinen Spaß machen würde, wäre ich nicht mehr bei der Caritas", sagt er. Seine Arbeitgeber würden ihn sicherlich auch nicht gerne hergeben, schließlich sind Männer in Pflegeberufen die große Ausnahme.

L. hat nur wenige Kollegen, oft ist er der einzige Mann im Team. Die Arbeitgeber legen aber Wert darauf, auch Männer anzustellen. "Es ist einfach für ein Team ganz wichtig, dass ein Ausgleich zu den Frauen besteht", erklärt sich L. die Beliebtheit von Männern bei seinen Arbeitgebern. Außerdem habe er schon mehrmals gemerkt, dass Patienten vor Männern mehr Respekt hätten als vor Frauen. Seine Kolleginnen hörten oft Dinge wie "Von so einer jungen Frau wie Ihnen lass' ich mir nichts sagen". Bei Patienten aus anderen Kulturen, in denen Frauen weniger wertgeschätzt würden, sei das noch viel extremer. Er selbst habe in dieser Hinsicht keine Probleme - hatte sie auch nicht, als er noch jünger war.

Jedoch gebe es ein anderes Problem für Florian L. als Mann: Als ambulanter Pfleger ist er bei manchen Patienten nicht erwünscht. Einige sagen ab, wenn sie hören, dass ein Mann vorbeikommen wird, andere schicken ihn unverrichteter Dinge wieder nach Hause, wenn er an der Tür klingelt. Zurückgewiesen fühlt sich Florian L. dann jedoch nicht. "Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob ich mich von einer jungen Schwester waschen lassen möchte, wenn ich mal alt bin", gibt er zu. Trotzdem versuche er, den Patientinnen klar zu machen, dass man es sich nicht immer aussuchen könne: "Der Rettungssanitäter, der Arzt, der Pfleger im Krankenhaus - das können alles Männer sein", erklärt er. Aber manche ließen sich einfach nicht durch Gespräche motivieren. Die Ablehnung habe er dann zu akzeptieren.

"Ich bin ein Psychiatrie-Freak", sagt Florian L. über sich selbst. "Ich mache viel über Kommunikation." Gespräche seien ihm wichtig - und auch oft das, was die Patienten am meisten brauchten. Doch dazu bleibe bei der ambulanten Pflege oftmals kaum Zeit. Patienten, die den ganzen Tag über alleine sind, bräuchten oftmals einfach jemanden zum Reden. Andere sind nicht alleine, sie leben noch mit ihren Partnern zusammen. Redebedarf bestehe trotzdem. "Wenn etwa der Mann dement ist und gepflegt wird, ist es oft auch die Frau, die reden möchte", erklärt L. "Weil sich die Ehepartner gegenseitig einfach nicht mehr viel zu sagen haben." Doch der enge Zeitkorridor, der ihm als Pfleger vorgegeben ist, lässt ein Gespräch kaum zu.

Für die Caritas fährt Florian L. vier Tage im Monat durch die Region, er übernimmt immer die Frühschicht am Vormittag. Bei seinem Hauptarbeitgeber ist L. in einem Drei-Schicht-System, die Nachtschicht fällt für ihn weg. Das heißt aber nicht, dass er in der Nacht nicht ab und zu Bereitschaft hätte, was manchmal nicht weniger anstrengend sei. "Man schläft anders, wenn man in der Arbeit schläft", sagt Florian L. "Weil man immer mit einem halben Ohr noch wach ist." Wenn er nach einem Bereitschaftsdienst nach Hause kommt, ist er deshalb trotzdem müde, obwohl er im besten Fall zehn Stunden Zeit zum Schlafen gehabt hat.

Zusätzlich müsse er auch mindestens zwei Wochenenden arbeiten. "Meistens werden es aber drei" so L. Dann fügt er leiser hinzu: "Schichtdienst ist ein Beziehungs- und ein Familienkiller." Denn oftmals ist Florian L. genau dann zu Hause, wenn seine Familie in der Schule und der Arbeit ist. An den Wochenenden hingegen muss er arbeiten, während seine Familie gemeinsam Dinge unternimmt. Da seien auch die Schichtzulagen kein Lichtblick. "Kein Geld der Welt kann einen Heilig Abend oder einen ersten Weihnachtsfeiertag mit der Familie ersetzen", sagt der dreifache Vater. Das Schlimmste sei für ihn jedoch, dass ihm sein Einsatz von der Politik und Gesellschaft nicht gedankt werde. Interessiert verfolge er die Diskussion um längere Ladenöffnungszeiten. Und immer komme ihm dabei derselbe Gedanke: "Dass ich arbeiten muss, interessiert doch auch niemanden."

Dabei sieht die Lage nicht unbedingt rosig aus, im Gegenteil: In der Pflege herrscht Notstand - das erlebt auch L. immer wieder. "Man merkt sehr deutlich, dass das Soziale des Arbeitnehmers deshalb ausgenutzt wird", sagt er. Denn der bringe sich ein, komme auch an einem freien Tag oder fahre ein paar Tage später in den Urlaub. So werde der Mangel an Fachkräften kompensiert. Sinn und Zweck sei das aber nicht, so L. "Wie lange sich die Pflegekräfte das wohl noch gefallen lassen?", fragt er sich. Denn inzwischen könnten sich die Pflegekräfte ihre Arbeitsstelle aussuchen und bräuchten keine Angst haben, ohne einen Job dazustehen. Und das gelte auch für Frauen, nicht nur für die wenigen Männer in der Branche.

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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