Poing:Zeitreise mit dem Zeichenstift

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Die Künstlerin Natalia Herdt ruft Poinger Mitbürger dazu auf, es ihr gleichzutun und ein Jahr lang jeden Tag 15 bis 30 Minuten zu zeichnen. Motiv, Technik - alles ist erlaubt

Von Rita Baedeker, Poing

Albrecht Dürer hat Reiseeindrücke von Italien mit dem Zeichenstift festgehalten. Im vergangenen Jahr erkundeten junge Künstler im Rahmen des Brüsseler Projekts "Comic Transfer" mit dem Skizzenbuch fremde Städte. Tagebuch führen mit Bleistift, Kreide oder Kamera hat Tradition. Die Poinger Künstlerin Natalia Herdt möchte nun auf ihre Weise diese Tradition weiterführen - mit einer "kreativen Zeitreise", wie sie ihr Vorhaben nennt.

Herdt, die seit sechs Jahren in Poing lebt, hat in Kassel Bildende Kunst studiert. Im Kinderatelier des Familienzentrums der Gemeinde leitet sie Kurse für Zeichnen, Malen, Drucken und Experimentieren mit Farben. Und zur Poinger Nacht der Kunst hat sie eine Videoinstallation beigetragen. "Die Idee zur Zeitreise hatte ich während meines Studiums",erzählt Natalia Herdt.

Ein Jahr lang hat sie mit Automatikkamera und Kompass jeden Tag ein Foto gemacht - immer um 19 Uhr und immer in Richtung Norden, egal wo sie sich gerade befand. "Mir ging es dabei um den Blick nach außen. Ich wollte schauen, was passiert bei dieser Art von automatisierter Dokumentation." Es entstand ein Tagebuch mit Fotos und Text. Eine zentrale Rolle habe dabei die Kontinuität gespielt, der immer gleiche Zeitpunkt. "Ich habe dabei viel über mich und meine Wege und Tagesabläufe gelernt."

Bei diesem Projekt nun richtet Herdt den Blick nach innen. "Diesmal habe ich das Bedürfnis, mich auf eine Zeichnungsreise zu begeben", sagt Herdt. "Jeden Tag, ein Jahr lang, werde ich etwa 15 bis 30 Minuten zeichnen. Nichts Bestimmtes, sondern das, was ich gerade sehe, was mir durch den Kopf geht, kleine Skizzen aus meinem Leben." Begonnen hat sie schon damit. Entstanden die Bilder ihres ersten Projekts quasi nach festen Regeln und innerhalb der immer gleichen Koordinaten, so führen jetzt die spontane Eingebung, der wache Blick Regie.

Die Künstlerin möchte aber nicht allein für sich ein Zeichenbuch führen, sondern ihre Idee mit anderen teilen. "Vielleicht habt ihr auch Lust, Bleistift, Buntstift oder Kugelschreiber in die Hand zu nehmen und zu zeichnen", schreibt Natalia Herdt in ihrer Einladung an alle Poinger. Die Arbeiten - jeder, der mitmacht, kann ein Blatt einschicken - werden am Ende der Aktion, im Mai 2016, im Rathaus ausgestellt. "Die Aktion ist wie ein Spiegel des Alltagslebens. Es können Gespräche darüber entstehen, was man übers Jahr so alles gemacht, was man erlebt hat. Ich bin sehr gespannt und freue mich auf das, was da kommt."

Das Echo ist bislang verhalten. "Manche Leute sagen mir, sie hätten keine Zeit dafür oder seien künstlerisch unbegabt", erzählt Herdt. Aber ihr geht es nicht um Talent oder Perfektion, sondern um ein, wenn man so will, Gemeinschaft stiftendes Ritual, das einem nebenbei vielleicht sogar ein Stück Selbsterkenntnis und die Möglichkeit beschert, für eine Viertelstunde die Zeit anzuhalten. "Es ist ein Experiment. Mich interessieren die Kritzeleien, das Unperfekte." Das Kulturamt unterstütze das Projekt.

Ein Bild für die Ausstellung hat die junge Künstlerin schon. Es ist von einem Kind. Kinder machen sich keine Gedanken darüber, ob sie Talent haben. Es wäre doch schön, wenn Erwachsene sich in diesem Fall einmal wie Kinder fühlen könnten.

Wer bei Natalja Herdts Projekt "Zeichnen & Ausstellen" mitmachen möchte, kann eine Arbeit, also eine Zeichnung, einen Skizzenblock oder ein Tagebuch einschicken. Was ausgewählt wird, entscheidet jeder selbst. Die Arbeit, nicht größer als ein DIN-A 4-Blatt, soll bis Ende April 2016 ans Kulturamt Poing, Rathausstraße 3, geschickt werden. Im Mai ist dann eine gemeinsame Ausstellung aller Arbeiten geplant.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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