Poing:Sünde, Gnade, Gott

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Kathleen Ann Thompson (links) und Agnes von Below im Theaterstück "Gnade Dr. Luther" in der evangelischen Christuskirche am Samstag in Poing. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In der Christuskirche widmet sich ein Theaterstück Luthers Weltordnung

Von Friedhelm Buchenhorst, Poing

Das Lutherjahr neigt sich seinem Ende zu, aber Luther bietet naturgemäß genug Stoff, um sich endlos mit ihm auseinanderzusetzen. Über die Luther-Playmobilfigur und sonntägliche Kanzelreden hinaus ist auch die Frage nach der theologisch-philosophischen Ausdeutung seiner zentralen Thesen, insbesondere seiner Glaubenserfahrung bezüglich Sünde und Gnade, von bleibendem Interesse.

Einen intellektuell recht anspruchsvollen Zugang zu Luther bot das von der Amerikanerin Kathleen Ann Thompson geschriebene und Samstag in der Poinger Christuskirche gespielte Theaterstück "Gnade, Dr. Luther?". Vorgetragen wurden vier zu jeweils verschiedenen Zeiten spielenden Szenen im voll besetzten Fest-Saal von der Autorin selbst und ihrer Schauspielkollegin Agnes von Below aus Poing. In einfachster Bühnengestaltung - ein Tisch mit einigen Utensilien darauf und ein paar Stühle - und zeitgemäßer Kleidung wird das komplizierte Dreiecksverhältnis zwischen Theologie, Philosophie und Wissenschaft in Bezug auf Sünde und Gnade besonders von Thompson zum Ende hin temperamentvoll dargestellt.

Erste Szene, Nürnberg, anno 1560. Aus dem Off ertönt choraler Gesang: "Eine feste Burg ist unser Gott". Eine Stimme klärt über die geistige Situation der Zeit auf, der Feudalismus weicht dem erstarkenden Bürgertum. Herr Strobel, ein im Grunde zu allen Zeiten und überall lebender Herr Jedermann, hat eine schwere Sünde begangen. In der Spielhandlung beklagen seine zwei Dienerinnen die Schande, sie streiten darüber, ob und wie sie gutzumachen sei. Gott ist die absolute Autorität, vor ihm muss sich der Mensch verantworten, Gott allein kann die durch die Sünde gegebene Last vergeben.

Zweite Szene, Bath (England), 1790, Zeit der Aufklärung. Voltaire, Hume, Kant und so weiter. Nicht mehr Gott, sondern die Vernunft ist jetzt die oberste Autorität. Herr Strobels Sünde wird nun von seiner Schwester und seiner Tochter diskutiert. Selbstbewusstsein und Autonomie des Willens bestimmen das Handeln. Der durch falsche Entscheidungen drohende Bankrott der Familie kann durch vernunftgemäßes Handeln abgewendet werden.

Dritte Szene, Boston, 1910. Marx, Darwin, Freud, Einstein. Gesellschaft und Psychodynamik treten jetzt als Autoritäten auf und determinieren das Handeln. Relativitätstheorie und Quantenmechanik lösen alte Gewissheiten auf und machen auf naturwissenschaftlicher Betrachtungsebene den Zufall zum grundlegenden Prinzip. Herr Strobels Sünde ist Thema zwischen seiner Frau und seiner Anklägerin. Gesellschaftliche Aspekte und Karrierekalküle bestimmen jetzt die Richtigkeit einer Handlung und die eventuelle Wiedergutmachung.

Vierte und letzte Szene, Zürich, 2010. Jeder bastelt sich seinen eigenen Gott, es herrscht ein allgemeiner religiöser und gesellschaftlicher Pluralismus. Der Sünder Strobel hat einen Selbstmordversuch unternommen. Die Ärztin und die Pastorin diskutieren ihre unterschiedlichen Sichtweisen. Für die Ärztin handelt es sich um eine organische Angelegenheit, die Pastorin fragt nach den Hintergründen. Aber wo bleibt die Gnade? Wer kann Strobel vergeben? Die Lösung bietet Psalm 119, Vers 94: "Ich bin dein, hilf mir, denn ich suche deine Befehle." "Wie es sich wohl anfühlt, frei zu sein und Gottes Eigentum zu sein", fragt sich die Pastorin resümierend. Die göttliche Ordnung wird sich nie verändern. Und die Gnade? Luther sagt es uns: Sie ist dort, wo sie immer war. In Christus. Nur durch ihn ist Vergebung möglich. Ende, musikalischer Ausklang und viel Applaus.

In einer bisweilen bunten Mischung von philosophischen und wissenschaftlichen Zeitströmungen versucht das Stück, die Zeit zumindest ab der Aufklärung als Relativierung und als Abkehr von Gott zu interpretieren. Die Aufgabe, Ordnung in die Welt zu bringen und das Absolute mit dem Konkreten zu versöhnen, bleibt leider ungelöst.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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