Poing:Nacht des Staunens

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Von 17 Uhr bis Mitternacht zeigen in Poing mehr als sechzig lokale Künstler verschiedener Generationen ihre Werke

Von Rita Baedeker, Poing

Bummeln, ein Glas Wein trinken, plaudern, fachsimpeln, staunen. Und wenn die Füße weh tun - einfach in den Bus klettern und sich chauffieren lassen: Das können Besucher bei der dritten "Langen Nacht der Kunst" in Poing. Das Angebot ist überschaubar und dennoch bunt und vielfältig. Mehr als sechzig bildende Künstler öffnen an 16 Stationen ihre Ateliers. Bildhauer, Maler, Objektkünstler, Fotografen, Laien und Profis, Jung und Alt, Traditionalisten und Provokateure.

Den Anstoß gaben seinerzeit die vier Künstlerinnen der Gruppe "Projekt IV" im gemeinsamen Atelier im Osterfeld. Dort ausgestellt ist Malerei, die an einem "Rückzugsort", in der Villa Breitenberg in Niederbayern entstanden ist - Farbflächenmalerei von Kornelia Boy, eine Serie mit dem Titel "Wiesengrund" von Rosemarie Hingerl, Städte und Landschaften mit Architekturelementen von Cornelia Propstmeier sowie neue Bronzen von Inge Schmidt, darunter die "Sterneguckerin".

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(Foto: Christian Endt)

Höhepunkte der Kunstnacht: Selbstporträts aus dem Kurs der Malerin Sylvia Vassilian...

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(Foto: Christian Endt)

...neue Werke von Rosemarie Hingerl und Inge Schmidt...

...ein Münchner Kindl mit Stinkefinger...

... Designer-Toys...

...und extravagante Fotoarbeiten.

Zum ersten Mal dabei ist Stephan de la Motte. Sein Standort ist eine Baustelle am Bergfeld. Das ist zwar nicht gerade die Art Galerie, von der ein Künstler träumt. Für den Mediziner aber ist die Ausstellungsfläche Inspiration. "Paris, nicht konform", lautete ursprünglich das Thema seiner geplanten Ausstellung. Es werden aber nun nicht nur Paris-Motive zu sehen sein. Stephan de la Motte arbeitet in der Forschung. Vor etwa sieben Jahren hat er die Fotografie entdeckt. "Ich kaufte mir im Supermarkt die billigste Digitalkamera und habe rumgeknipst wie wild", erzählt er. Eine eindrucksvolle Höhlenimpression mit dramatischem Lichteinfall, die ihm gelang, habe den Funken gezündet. Dank einer ausgeprägten Intuition seien die Bilder nach und nach von selbst künstlerischer geworden, erinnert sich der Mediziner. "Ich habe viel Fachliteratur gelesen, konnte damit aber nicht viel anfangen", sagt de la Motte. Auch die Bearbeitung mit Fotoshop sei seine Sache nicht. "Ich schalte mein Gehirn aus, betrachte eine Stadt aus der Sicht eines Fünfjährigen und lasse den Blick schweifen bis zum entscheidenden Moment", sagt der Hobbyfotograf. Außergewöhnliche Motive gebe es überall zu entdecken, in jedem Winkel. "Der Mensch sieht, was er sehen will", ist der Mediziner überzeugt.

Was man sehen will, wenn man sich selbst betrachtet - und was nicht -, damit hat sich die Malerin und Dozentin Sylvia Vassilian beschäftigt. Schüler aus drei Volkshochschulkursen nehmen an der Kunstnacht teil, darunter der Kurs "Freestyle", in dem sieben Teilnehmer aufgefordert waren, sich selber zu fotografieren; aber eben nicht gestylt und in Pose, sondern in alltäglichen Situationen - unter der Dusche, mit Hut, im normalen Leben. Das Foto bildete die Basis für eine Zeichnung, nach der wurden Selbstporträts in Acryl gemalt. "Sich selber mal genau anzugucken, ist schon eine komische Geschichte", sagt Vassilian, "man sieht sich mit dem Blick eines anderen." Malen hat sie unter anderem an der Kunstakademie in Bad Reichenhall gelehrt. Ausgestellt hat sie in New York, Peking und anderen Weltstädten. Sylvia Vassilian und 18 ihrer Kursteilnehmer zeigen ihre Werke in den Räumen der Volkshochschule in der Friedensstraße 5.

Neu in der Poinger Kunstszene sind Florian Nöhbauer und Leonhard Slawik vom Künstlerkollektiv "Cru:zfx" in der Poststraße 8. Das junge Duo ist vor kurzem wieder in die Heimatgemeinde gezogen und zwar in die Objektdruckerei, der Werkstatt von Gemeinderat Bernhard Slawik und Ferdinand Trampler. Neben der Kunst - Skulpturen, Designer-Toys und Holzreliefs - können Besucher dort auch einen Blick auf 3 D-Drucker und Lasercutter werfen. Florian Nöhbauer, Online-Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, schuf einst, von Hans Arp inspiriert, für den Leistungskurs Kunst am Gymnasium ungewöhnliche Holzbilder. Vor einiger Zeit beschloss der 34-Jährige, wieder künstlerisch zu arbeiten und tat sich mit dem 3 D-Grafiker Leo Slawik zusammen. "Wir haben einen Raum in München gemietet und rumprobiert. Irgendwann kamen wir auf die Designer-Toys", erzählt Nöhbauer. Designer-Toys, das sei eine in der jungen internationalen Kunstszene populäre Bewegung, in Deutschland aber kaum bekannt. Gemeint sind damit Blanko-Figuren aus Kunststoff. Die Toys vereinen Elemente von Spielzeug, Skulptur und Comics zu einer skurrilen, zuweilen grausigen Gestalt. So wie "Randall", eine kleine weiße Figur aus Silikon mit breitem Kreuz, Turnschuhen, Monsterlächeln und Kappe: Hip-Hop-artig", sagt Nöhbauer. Neben Randall gehören das Münchner Kindl - mit Stinkefinger - und ein Jesus am Kreuz mit Buddha-Bauch sowie Holzreliefs, die an Graffiti erinnern, zu den ausgestellten Arbeiten.

Einer Transformation von Tradition in die Moderne gleicht auch das Werk der türkischen Künstlerin Gülcan Turna, die am Quartiersplatz ausstellt. Wie andere Mädchen lernte sie sticken, arbeitete an ihrer Aussteuer. Nach dem Studium der Bildhauerei und Kunstpädagogik in der Türkei und in München entdeckte sie Stickereien beider Kulturen als Kunstform, vor allem die in Kreuzstichtechnik gearbeiteten Sinnsprüche auf Decken und Kissen haben es ihr angetan. Die dekorative biedermeierliche Handarbeit setzt sie jedoch anders, provozierend ein. "Herr, lass es Hirn regnen", heißt einer ihrer Sinnsprüche.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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