Poing:Fest der Erinnerungen

Lesezeit: 3 min

Geschirr und Bilder können beim Flohmarkt zugunsten des Asylhelferkreises gekauft werden. (Foto: Endt)

Die Poinger nehmen bei einer Abrissparty wehmütig Abschied vom Wirtshaus Liebhart. Im neuen Gebäude sollen Wohnungen und ein Gasthof entstehen

Von Lea Weinberg, Poing

Es wirkt fast wie eine große Familienfeier, wenn man den Hinterhof des ehemaligen Poinger Wirtshauses Liebhart betritt. Eine bayerische Musikkapelle spielt zünftige Lieder, Bier und Brezen gibt es gegen eine kleine Spende, ein Flohmarkt mit Bildern und Geschirr lädt zum Stöbern ein. Viele Leute sind gekommen, nicht um ein neues Lebensjahr zu feiern, sondern um sich von mehr als hundert Jahren Wirtshaus Liebhart zu verabschieden. Noch in diesem Jahr soll der marode Gasthof, der schon seit sieben Jahren leer steht, abgerissen werden und Platz für einen Neubau machen. Der Investor Jochen Echtler hat deshalb zu einem Abrissfest eingeladen.

Die anwesenden Poinger verbinden viele Erinnerungen mit dem Wirtshaus Liebhart. "Wir hatten hier viele schöne Zeiten", erinnert sich Marlene Ametsbichler, vor allem die Faschingsbälle seien immer ausgebucht gewesen. Von Freitag bis Samstag sei hier durchgefeiert worden, jeder Poinger Verein hatte seinen eigenen Ball. Die familiäre Stimmung dort habe ihr gefallen, "das kann man nicht mit heute vergleichen", sagt Ametsbichler, damals durften die Poinger noch im Liebhart sitzen bleiben und sich selbst bedienen, als die Kellner nach Hause gegangen sind.

Auch Christa Mayr wurde mit dem Liebhart groß, ihre Mutter, Resi Danzer, bediente dort bis 1994. Schon als Mayr drei Jahre alt war, durfte sie hinter der Schenke mithelfen. "Die Resi war schon eine sehr urige Bedienung", sagt sie. "Wart, bis d' Durst auf a Hoibe host", habe Resi Danzer immer gesagt, wenn man ein kleineres Getränk bestellte. Gerne erinnern sich die Frauen auch an das sonntägliche Kaffeekränzchen nur für Damen. Abends sind dann die Männer zum Karteln gekommen. Mit der Modernisierung des Wirtshauses durch den Junior-Wirt durfte der Stammtisch jedoch nicht mehr kommen, "leider wurde die Tradition nicht fortgeführt", erzählt Anita Haselsteiner, seit diesem Zeitpunkt sei es bergab gegangen. Neben der Gaststube beherbergte das Wirtshaus Liebhart auch eine Diskothek. Dort lernte Gabi Frimberger 1980 ihren Mann kennen, ihre Eltern haben in dem Wirtshaus geheiratet. Dass das Liebhart abgerissen wird, macht sie traurig, "in Poing gibt's ja nix anderes", sagt sie. In der Diskothek "Western", die manchen auch unter dem Namen "Lederhosn" bekannt ist, sei immer die Hölle los gewesen, erinnert sich auch Peter Dreyer.

Das Liebhart war in Poing ein Lebensmittelpunkt, doch an dem Abriss führt kein Weg vorbei, erklärt Bürgermeister Albert Hingerl: "Die Alternative, dass es stehen bleibt, gibt es nicht", erklärt Hingerl, "das Haus ist kein Juwel mehr". Seit 40 Jahren kennt auch er den Gasthof, viele Feste habe er dort mitgefeiert. Doch auch wenn er ein wenig wehmütig sei, "es ist besser, das Wirtshaus in guter Erinnerung zu behalten". Mitte 2017 soll der Neubau fertig sein, 16 Wohnungen und ein Wirtshaus im Erdgeschoss sollen entstehen. Der Investor Jochen Echtler freut sich über den Andrang auf das von ihm veranstaltete Abrissfest. "Es ist hier sehr gemütlich", sagt Echtler. Wie das neue Gebäude aussehen wird, weiß er schon: "Es wird dem jetzigen Bau angepasst". Zwar werde der Neubau modern, aber nicht im grauen Bauhaus-Stil, ein Giebeldach sei auf jeden Fall eingeplant. Dass in dem im Erdgeschoss geplanten Wirtshaus ein bayerischer Wirt einzieht, das ist den Anwesenden besonders wichtig. Der Poingerin Anita Haselsteiner liegt auch ein gemütlicher Biergarten am Herzen und vor allem genügend Platz, "damit man wieder Hochzeiten und andere Feiern dort abhalten kann".

Zum Schluss werden noch ein alter, bemalter Bauernschrank und eine Getreidemühle versteigert, der Erlös geht, wie der des Flohmarktes, an den Asylhelferkreis. "Sechzig zum ersten, sechzig zum zweiten und sechzig zum Dritten", ruft Albert Hingerl. "Hör mir auf", sagt der neue Besitzer des Schranks, "ich bin doch mit dem Radl da". Für kurze Zeit wird die Tür des ehemaligen Wirtshauses geöffnet. "Normalerweise dürfte hier keiner rein", sagt der junge Mann, der aufpasst, dass niemand die Treppen nach oben steig, das sei zu gefährlich. Ein älterer Mann steht im alten Gastraum und sieht sich um. "Mei, was wir hier drin schon alles gefeiert haben", murmelt er leise.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: