Poing:Die Möbeljäger

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Tische, Stühle, Lampen, Regale: Die Poinger sind dankbare Abnehmer für alles Mobiliar, das in der neuen Schule nicht gebraucht wird. (Foto: Christian Endt)

Beim Entrümpelungstag an der Grundschule wird alles mitgenommen, was ins Auto passt

Von Carolin Schneider, Poing

Sieben Tische und sieben Stühle sind kreuz und quer in Raum 10 verteilt. Ein Zimmer weiter liegen zwei Hefte auf dem ansonsten leeren Boden - eins mit blauem Umschlag für Mathe, eins in gelb für Deutsch. Für die sauber geschriebenen Zahlen und Buchstaben und die roten Häkchen darin interessiert sich nun niemand mehr. Ein Jugendlicher schraubt den Basketballkorb, der an der Wand der Sporthalle hängt, ab. In der Ecke eines Pausenraumes zeugen eine Handvoll bunter Spielekarten davon, dass vor kurzem noch Schüler hier Spaß hatten. Über der Garderobe neben der Sporthalle hängt noch ein einzelnes Bayern-Trikot. An den Wänden im Flur sind Plakate befestigt. "Das haben wir bereits gelernt" steht dort in bunten Buchstaben. Im nächsten Schuljahr werden die Schüler jedoch an anderer Stelle lernen.

Bevor die Grundschule im Ortszentrum endgültig abgerissen wird, haben die Poinger beim Entrümpelungstag die Möglichkeit, nicht mehr benötigtes Mobiliar mitzunehmen. Eine Möglichkeit, die viele wahrnehmen. Die Straßen um die Schule sind vollgeparkt mit Autos, die bis oben hin mit Tischen und Stühlen beladen sind. "Meine Tochter spielt so gerne Schule", erklärt eine Mutter, die gerade versucht, einen Tisch und zwei Stühle gleichzeitig aus einem Klassenzimmer zu transportieren. "Da wird sie sich bestimmt freuen!" Dann verschwindet sie samt ihren ergatterten Möbeln in das nächste Zimmer. Denn wer wirklich etwas mitnehmen möchte, muss an diesem Vormittag schnell sein.

Eine Hektik liegt in der Luft, die die Schule sonst wahrscheinlich nur erlebt hat, wenn die Kinder am letzten Schultag in die Ferien drängten. Wer zwei Stunden nach Beginn der Entrümpelung erscheint, erwischt nur noch mit Glück etwas. In einem Raum steht noch eine Kommode aus hellem Holz. "Reserviert" hat jemand mit roter Kreide auf einen abgerissenen Zettel geschrieben, der auf dem Möbelstück liegt. Ob die Kommode später wirklich noch da steht? "Ich habe vorhin auch einen Reserviert-Zettel auf ein Regal gelegt", erzählt eine Frau aus Markt Schwaben. "Aber als ich ein paar Minuten später wiedergekommen bin, war es trotzdem weg." Dann zuckt sie mit den Schultern. "So wichtig war es aber nicht."

Andere verlassen sich nicht auf einen handgeschriebenen Zettel: "Du bleibst hier sitzen und lässt dir nichts abschwatzen!", sagt eine Mutter eindringlich zu ihrer Tochter, die auf einem Berg von Stühlen, Tischen und kleinen Regalen sitzt. "Das gehört alles uns!" Während die Tochter also wie festgenagelt auf den Errungenschaften sitzt, tragen Mutter und Vater in Windeseile die Möbelstücke durch das Schulhaus und beladen das Auto.

An anderer Stelle setzt sich eine Frau zur Probe auf einen alten Bürostuhl. Sie dreht sich ein bisschen hin und her, lehnt sich nach hinten und nickt dann zufrieden. Den Stuhl legt sie auf einen großen Tisch aus dem Lehrerzimmer und schiebt alles durch das Schulhaus. Doch das Quietschen, das der Tisch auf dem Boden verursacht, geht im allgemeinen Lärm aus Hämmern, Bohren und Schrauben unter. Im Flur versucht ein älterer Herr, Lampen von der Decke zu schrauben. Doch irgendwie will das nicht klappen: Obwohl er auf einem klapprigen Schultisch steht, kommt er nicht bis nach oben. Seine Tochter gibt jedoch nicht auf. Mit ihrem Baby vor den Bauch geschnallt schiebt sie einen Tisch her, der etwa fünf Zentimeter höher ist als der vorherige und bittet ihren Vater, diesen auszuprobieren. Der streckt sich dann noch ein bisschen weiter nach oben und schafft es schließlich, die erste Lampe von der Decke zu lösen. "Wir brauchen die für unsere neue Wohnung", erklärt die Frau, dann gibt sie ihrem Vater weitere Anweisungen.

Es scheint etwas grotesk: viele Menschen, die sich schnappen, was sie bekommen können und die leeren Räume auf der einen Seite. Auf der anderen Seite bemalte Wände, die nur darauf zu warten scheinen, dass nach den Ferien noch mehr Kinder mit Farbe den Schulalltag etwas bunter machen.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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