Mitten in Steinhöring:Die schreckliche deutsche Sprache

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Schon Mark Twain hatte etwas gegen typisch deutsche Wortungeheuer, aber ohne sie würde unsere Bürokratie nicht funktionieren

Von Annalena Ehrlicher

Mark Twain hätte seine helle Freude an Gemeinderatssitzungen gehabt. Sowohl an dem bloßen Wort, als auch an der Veranstaltung, war doch die Länge deutscher Wörter ein steter Quell des Erstaunens für den US-amerikanischen Autoren. "Ge-mein-de-rats-sitz-ung", sechs Silben! "Ab-grenz-ungs-satz-ung", fünf Silben! "Au-ßen-be-reichs-grund-stück", wieder sechs! "Dies sind keine Wörter, es sind Umzüge sämtlicher Buchstaben des Alphabets", schrieb Twain zwischen Verärgerung und Bewunderung schwankend.

1880 veröffentlichte der damals 45-Jährige seinen Essay "The awful German Language", zu deutsch: "Die schreckliche deutsche Sprache". Twain schildert darin seine Erfahrungen als Deutschlernender Ende der 1870er. In launiger Manier beschwerte er sich über die deutsche Grammatik ("mehr Ausnahmen als Regeln"), besonders über die Syntax ("unordentlich und systemlos") - einen Narren gefressen hatte er jedoch an langen Wortzusammensetzungen.

"Manche deutschen Wörter sind so lang, dass man sie nur aus der Ferne ganz sehen kann", hielt er fest und nannte als Beispiel das schöne Wort "Wiederherstellungsbestrebungen". Der Amerikaner schrieb sich so weit in Rage, dass er vorschlug, Komposita gänzlich abzuschaffen. Mit der geistigen Nahrung verhalte es sich schließlich wie mit jeder anderen: "Es ist angenehmer und bekömmlicher, sie mit dem Löffel anstatt mit der Schaufel zu sich zu nehmen." Hatte man einmal das Vergnügen, in Twains Essay zu stöbern, kann man übrigens keiner Gemeinderatssitzung mehr beiwohnen, ohne genüsslich schaudernd die Silben diverser Wortungetüme zu zählen.

Die jüngste Steinhöringer Gemeinderatssitzung hätte bei Twain vermutlich geradezu nervöse Zustände ausgelöst: So bezaubernde Exemplare wie "Klarstellungs- und Einbeziehungssatzung", "Bruttoangebotssumme" und "Kiesstraßeninstandsetzung", rutschten Bürgermeister Alois Hofstetter mit einer Leichtigkeit über die Zunge, wie sie nur durch jahrelanges eisernes Training zu erreichen ist. Was Twain, der Nicht-Muttersprachler, in seiner Verurteilung zusammengesetztet Wörter übersehen hat, ist übrigens Folgendes: Wie, wenn nicht mittels der geballten Macht klangvoller Wortungetüme, sollte man beispielsweise Satzungen mit rein deklaratorischer Wirkung in Worte fassen? "Es können keine Außenbereichsgrundstücke in den im Zusammenhang bebauten Ortsteil einbezogen beziehungsweise Innenbereichsgrundstücke nicht dem Außenbereich zugeordnet werden", so die Erklärung zur Abgrenzungsordnung für den Ortsteil Abersdorf. Wie, lieber Mark Twain, würde deutsche Verwaltung, wie würde deutsche Demokratie funktionieren, geböte unsere Sprache nicht über die Möglichkeit, beliebig viele Substantive aneinander zu reihen? Genau.

© SZ vom 23.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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