Mitten in Ebersberg:Von der Maschine lernen

Lesezeit: 1 min

Die ihren Nutzer häufig warten lassende Maschine wird offenbar stilprägend auch für die unvirtuelle Welt, von den Älteren gelegentlich als Realität bezeichnet. Das lässt zumindest ein Schaufenster in Ebersberg vermuten, in dem es derzeit nichts zu betrachten gibt.

Kolumne Von Wieland Bögel

Darüber, was vom Warten zu halten sei, gehen selbst unter großen Geistern die Meinungen auseinander. Der nicht selten missmutige Friedrich Nietzsche sah in der Warterei "ein sicheres Mittel, die Leute aufzubringen und ihnen böse Gedanken in den Kopf zu setzen." Ja, mehr noch: "Warten macht unmoralisch." Weniger ernst dagegen sah dies sein Zeitgenosse Leo Tolstoi, für ihn "nimmt alles ein gutes Ende für den, der warten kann". Nun ist natürlich unbekannt, ob die Entwickler moderner Technologien von der Existenz Nietzsches und Tolstois wissen, vorausgesetzt sie täten es, kann man jedoch annehmen, sie tendierten dazu, Letzterem zuzustimmen.

Schließlich bedeutet die Nutzung ebenjener Technik vor allem Warterei. Die ach so zeitsparenden Helferlein werden nicht müde, ihren Nutzern viel Geduld abzuverlangen. Bevor die gewünschte Leistung erbracht wird, heißt es erst einmal warten. Auf das Hochfahren des Hauptprozessors, auf das Finden der Website, auf das Laden eines Programms oder darauf, dass sich das Gerät selbst auf den neuesten Stand bringt. Was es seinem Nutzer auch gelegentlich kundtut, "Bitte warten, bis das System aktualisiert wurde", steht dann beispielsweise dort zu lesen, wo eigentlich wichtige Informationen angezeigt werden sollten, wie beispielsweise das aktuelle Wetter auf den Kerguelen-Inseln, witzige Zitate aus dem 19. Jahrhundert oder Bilder von Katzen, die wie Diktatoren aussehen.

So weit, so normal. Interessanter ist nun aber, dass die ihren Nutzer warten lassende Maschine offenbar stilprägend wird auch für die unvirtuelle Welt, von den Älteren gelegentlich als Realität bezeichnet. Oder wie anders ist es zu erklären, dass der Besitzer eines Ebersberger Schaufensters dessen Betrachter, also des Fensters, mit einem Zettel darauf hinweist, warum es nichts zu betrachten gibt: "Die Schaufenster werden für Sie derzeit aktualisiert. Wir bitten um Ihr Verständnis." Aber sicher doch, von der Maschine haben wir ja inzwischen ausgiebig das Warten gelernt, auf dass es ein gutes Ende mit uns nehme.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: