Mitten in Ebersberg:Der ewige Kreisverkehr

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Gehen? Oder nicht? Das ist an der roten Ampel immer wieder die Frage

Von Jan Schwenkenbecher

Mittagspause, Bäcker, Straße, Ampel. Das Setting ist klar, das Dilemma beginnt. Da stehen sie nun, die drei - nein nicht von der Tankstelle, sondern von der Redaktion. Da stehen sie und warten. Und warten. Gedrückt haben sie schon, natürlich. Nur grün wird es nicht.

So weit so gut. Kein Problem. Ampeln sind rot, sind auch mal lange rot. Solange Autos fahren, wartet der pflichtbewusste Mittagspäusler auch engelsgeduldig. Die Straßenverkehrsordnung ist das halbe Leben. Doch dann passiert plötzlich etwas. Etwas Unerwartetes. Etwas, das im Plan des gesellschaftlichen Miteinanders nicht vorgesehen ist. Etwas, das das Regelwerk der Straße aus dem Gleichgewicht bringt. Es passiert: nichts. Keine Autos fahren mehr die Straße entlang, keine Mopeds, keine Räder. Links, rechts, links: Geisterstadt.

Und da stehen die drei, schauen links, schauen rechts, schauen sich an, inspizieren die Schuhspitzen. Gehen? Es ist ja nichts da. Nicht gehen? Es ist doch rot. Anlasslos rote Ampeln sind die Pommes-Schranke des Straßenverkehrs - eigentlich sollte man ja nicht, aber . . . In den dreien, da brodelt es, es gärt, es wächst, sie wächst. Steigt erst langsam, staut sich dann mehr und mehr auf, vergrößert sich mit jeder kraftfahrzeuglosen Sekunde - die kognitive Dissonanz. So nennen es Leute vom Fach Psychologie, wenn zwei Kognitionen eines Individuums einander unvereinbar gegenüber stehen. Wenn also die Ampel rot, aber kein Auto da ist. Wenn sekundenlang (gefühlt: unendlichlang) kein Auto kommt, ist man der Depp, der in blindem Gehorsam vor einer leeren Straße auf eine bestimmte Wellenlänge eines Lichtsignals wartet. Mit jeder Sekunde wächst die kognitive Dissonanz.

Und dann reicht es. Die drei sehen rot, gehen über die Straße. Eine kurze Rot-Grün-Schwäche. Sie sind befreit, endlich. Die Dissonanz verschwindet. Die Homöostase - psychologisch für das innere Gleichgewicht - ist hergestellt, alles ist wieder gut.

Die Homöostase des Straßenverkehrs aber, die ist gestört. Über eine rote Ampel? Das darf doch nicht, das geht doch nicht. Und so entschließt sich der Gott des Asphalts - die Rede ist von einem alles lenkenden transzendenten Wesen, nicht vom nur seinen 1970er Dodge Charger lenkenden Vin Diesel - diesen (Auf)stau der kognitiven Dissonanz zu reduzieren: die Ampel wird grün. Und damit dummerweise auch rot für den nahenden Autofahrer, der nun seinerseits vor einer anlasslos roten Ampel wartet. Und die kognitive Dissonanz . . . ein ewiger Kreisverkehr.

© SZ vom 28.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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