Mitten in Anzing:Typisch vergnüglich

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Wer sich auf die Suche nach dem typisch Deutschen macht, wird im oberbayerischen Anzing fündig. Dort wird im Gemeindeblatt erklärt, wie eine "Vergnügung" abzuhalten ist und wie sich die Gäste dabei zu fühlen haben

Kolumne Von Annalena Ehrlicher

Es treibt ja derzeit landauf landab Politiker, Journalisten und besorgte Bürger in der Bundesrepublik eine Frage um. Sie lautet natürlich: Was ist eigentlich so richtig deutsch? Was gehört zu Deutschland, was sind die Voraussetzungen, damit man Deutscher ist? In Süddeutschland muss man sogar noch einmal weiterdenken: Ist deutsch denn auch bayerisch? Oder gar oberbayerisch? Komplexe Fragen!

Bisweilen lassen sich dazu aus vermeintlich oberflächlichen Beobachtungen tiefere Schlüsse ziehen. Der interessierte Beobachter blickt sich also um in Oberbayern, im schönen Landkreis Ebersberg, und was sieht er da? Berge, Hügel, ein paar Kirchen - all das findet sich aber auch anderswo, sogar bei den Preußen, zählt also nur halb. Hinter den Kirchen sieht man - Volksfeste! Und dabei natürlich Trachten en masse. Ein kurzer Blick in die Geschichtsbücher und man zuckt enttäuscht zurück, denn die schmucken Lederhosen und halblangen Dirndl sind eine recht neue Erfindung, ein Boom, sozusagen, aus dem 19. Jahrhundert. Reichen 200 Jahre, um etwas richtig Deutsch zu machen? Schwierig.

Auf der Suche nach Inspiration überfliegt man also die Gemeindeblätter der Region - was könnte schließlich oberbayerischer sein als das, was eine Gemeinde schwarz auf weiß festhält? Und tatsächlich, im Anzinger Gemeindeblatt für den Monat Mai wird der Hobby-Soziologe fündig. Auf zwanzig Zeilen informiert hier die Gemeinde ihre Bürgerinnen und Bürger, welche Schritte für die Organisation einer "öffentlichen Vergnügung" vonnöten sind. In diesen 20 Zeilen ist die Essenz des Deutschen komprimiert: Nicht nur sind Regeln und Ausnahmen für sogenannte "Vergnügungen" festgehalten - nein, dem mündigen Bürger wird auch gleich noch in bestem Paragraphendeutsch erklärt, was denn eine Vergnügung ist. Schließlich sind wir hier im Land der Dichter und Denker, nicht der Trinker und deren Einschenker. "Vergnügung ist eine Veranstaltung, die dazu bestimmt und geeignet ist, die Besucher zu unterhalten, zu belustigen, zu zerstreuen oder zu entspannen."

Ob wohl Vergnügungen im Nachhinein noch verboten werden können, wenn die Besucher glaubhaft versichern, sich nicht unterhalten, belustigt, zerstreut und entspannt zu fühlen? Dass man sich gelangweilt hat, traurig, hochkonzentriert und angespannt war? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt - aber wäre es nicht ein herrliches Vergnügen, das Konzept des "öffentlichen Vergnügens" einmal ganz subversiv zu umgehen?

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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