Mitten im Landkreis:Stechende Argumente

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Wer beim Akupunkteur auf der Liege liegt, ist nicht besonders streitbar, was den eigenen Beruf betrifft

Von Lars Brunckhorst

Ärzte, das muss an dieser Stelle mal eingestanden werden, haben es auch nicht immer leicht. Geben sie sich etwa auf Partys als solche zu erkennen, sind sie sofort umringt von jeder Menge Hypochonder, denen die Bandscheibe drückt oder der Reizdarm zwickt. Angehörige anderer Berufsgruppen werden ähnlich von ihnen sonst weitgehend fremden Menschen verfolgt. Steuerberater zum Beispiel erfahren regelmäßig kurz vor dem 31. Mai, wenn das Finanzamt die Abgabe der Bescheide anfordert, wie groß ihr Bekanntenkreis auf einmal ist. Und wer hat noch nicht einen Freund, der Anwalt ist, gefragt, ob er nicht mal eben schnell einen Brief aufsetzen könne wegen dieses blöden Strafzettels oder des zweiten Mahnschreibens? Im Vergleich zu Menschen jener Stände hat man es als Journalist vergleichsweise gut. Denn wer bittet einen schon darum, ob man ihm mal flugs, sozusagen zum Heimgebrauch, einen scharfsinnigen und -züngigen Kommentar schreiben könnte?

Manchmal ist es jedoch mit dem vermeintlichen Frieden vorbei, und das nicht nur, wenn man sich leichtsinnigerweise auf einer Pegida-Demo als Zahnrädchen der Lügenpresse outet. Neulich zum Beispiel beim Orthopäden. Dr. S. ist ein aufmerksamer Leser dieser und anderer Zeitungen, und weil er weiß, wo man arbeitet, nutzt er jede Akupunktursitzung zu einem kleinen Diskurs über die aktuelle politische Lage. Und an der missfällt dem Doktor so einiges. Damit nicht der falsche Eindruck entsteht: Dr. S. hat mitnichten etwas gegen Menschen anderer Nationalität und Kultur - das zeigt sich schon anhand der Informationsbroschüren auf Russisch und Arabisch, die in seiner beeindruckenden Praxis am Stadtrand aufliegen. Nur mit der Kanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik ist er ganz und gar nicht einverstanden, wie auch mit den Kommentaren des werten Kollegen P. in ebendieser Zeitung.

Als Mitarbeiter dieser und von Berufswegen streitbarer Mensch wäre man nun geradezu verpflichtet, dagegen zu halten. Doch zum einen gibt man in Unterhose bäuchlings auf einer Liege ein zu lächerliches Bild ab, um flammend für Humanität, Menschenrechte und Toleranz zu kämpfen. Zum anderen ist man Dr. S. derart machtlos ausgeliefert, dass einem der Mut für eine Widerrede fehlt. Am Ende sticht einem der genervte Mediziner die Nadeln noch bis zum Ischiasnerv durch. Also schweigt man verbissen und schlechten Gewissens und schwört sich, künftig den Rat einer Kollegin zu befolgen. Die sagte jüngst beim Physiotherapeuten, um in Ruhe gelassen zu werden, auf die Frage, was sie von Beruf sei: "Metzgereifachverkäuferin".

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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