Mitten im Gericht:Ganz klar gefährlich

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Vor manchen Leuten im Sitzungssaal muss man sich in Acht nehmen, das sieht man sofort. Oder?

Von Jessica Morof

Auf und ab, auf und ab wandert der Mann immer wieder den Gang im Amtsgericht entlang. Wie ein Tiger in seinem Käfig; dabei ist er bisher noch auf freiem Fuß, wartet gerade mal auf seine Verhandlung, die in wenigen Minuten beginnen soll. Mit seinen kurz geschorenen Haaren und breiten Schultern sieht er gefährlich aus. "Schwules Sicherheitsgericht", wettert er leise mit Blick auf die Sicherheitskontrolle am Eingang des Amtsgerichts, bei der er Jacke, Tasche und mitgebrachte Gegenstände abgeben muss. "Was soll das überhaupt - alle Sachen wegzunehmen", lässt er sich wütend bei seiner Begleiterin aus. "Dabei wäre es für mich kein Problem, Waffen durch das offene Fenster zu bringen."

Waffen? Der Drang, ein bisschen weiter in die versteckte Ecke der Sitzgelegenheit vor dem Sitzungssaal zu rücken, ist riesig. Ein Ort, an dem Tag für Tag Menschen zusammenkommen, um für ihre Taten bestraft zu werden, ist schließlich kein Kindergarten. Man muss also auf alles gefasst sein. Schließlich hat man ja schon einiges gehört, gelesen, gesehen über Vorfälle in Gerichten. Wie man beim Arzt auf Krankheiten trifft, kommt man im Gericht mit Verbrechen in Kontakt. Und der Angeklagte scheint zu Recht hier zu sein, wenn er sogar Waffen durchs Fenster ins Gericht schmuggeln könnte.

Während sich der Mann noch über die Sicherheit empört tritt sein Verteidiger auf ihn zu - ein bisschen älter mit grauen Haaren; der väterliche Typ - grinst ihn an. "Na, wie geht's?", fragt er. "Gut", antwortet der Angeklagte, plötzlich ganz kleinlaut. "Aber wieso hat der Polizist mich angezeigt?", fragt er leise und schmollend wie ein kleiner Junge. "Der kennt mich doch gar nicht. Voll ungerecht." Und auch die Zeugen, die seine Unschuld beweisen können, seien noch nicht da. "Was passiert eigentlich, wenn die gar nicht kommen?" Plötzlich sind Wut und Trotz vergessen; das Interesse für die Abläufe vor Gericht ist geweckt. Wie lange dauert eine Verhandlung? Wie oft wird verhandelt? Was passiert eigentlich, wenn die Zeugen wieder nicht erscheinen? "Dann kommen die grünen Männchen und bringen sie mit", erklärt der Verteidiger kindgerecht. Fast rührend, wie wenig Ahnung der Angeklagte hat. Als wäre es seine erste Verhandlung. Und tatsächlich - am Ende ist alles nur eine Verwechslung und der Mann gar kein Verbrecher. Das war doch von Anfang an klar.

© SZ vom 04.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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