Meta-Theater Moosach:Wie aus dem Maler ein Baum wird

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Normalerweise steht Stefan Hunstein (links) auf der Bühne der Münchner Kammerspiele, Shenja Lacher spielte bis 2016 im Residenztheater. Am Samstag lesen die beiden im Meta-Theater in Moosach jedoch Simon Werles Stück "Hipplytos. Der Menschenbaum". (Foto: Christian Endt)

In einer szenischen Lesung des Stückes "Hippolytos. Der Menschenbaum" von Simon Werle stellen Schauspieler Stefan Hunstein und Shenja Lacher große Fragen. Was kann, was darf Kunst?

Von Theresa Parstorfer

Hippolytos will nicht König sein. Zumindest nicht am Anfang. Dann irgendwann schon, aber in dem Moment, als seine Stiefmutter Phädra seinen Vater Theseus, den König von Troizen, nach jahrelanger Abwesenheit für tot erklärt, findet der junge Mann es gar nicht gut, dass er nun die Krone seines berühmten Vaters tragen soll.

Die Originalversion von "Hippolytos" ist ein antikes Drama des Euripides. Eine griechische Tragödie, wie sie sein soll. Die ganze Palette menschlicher Schwächen bildete der antike Meister ab: Eifersucht, Jähzorn, Verzweiflung, Rachedurst. In der Aufführung jedoch, die am Samstag im Meta- Theater in Moosach zu sehen war, wird die alte Geschichte von Autor Simon Werle in einem anderen Kontext ein wenig anders erzählt. Bei Euripides ist eine eifersüchtige Göttin der Auslöser des Dramas. Sie macht Phädra, Hippolytus Stiefmutter, durch einen Zauber zur Ehebrecherin. Da Hippolytos sie abweist, begeht sie Selbstmord, weshalb der wütende Theseus seinen Sohn verbannt. Werle hingegen fragt, was kann Kunst, was darf Kunst und welche Verantwortung hat ein Künstler, wenn seine Kunst so einiges kann.

Leichte Kost ist auch das nicht. Im Gegenteil, "Hippolytos. Der Menschenbaum" schichtet in melodischem Text Bedeutungsebene über Bedeutungsebene. Überzeugend greifen Stefan Hunstein und Shenja Lacher jede dieser Ebenen und Nuancen auf und schaffen es, das Publikum beinahe ausschließlich mit ihren Stimmen eine Stunde lang völlig in ihren Bann zu ziehen. Hunstein steht normalerweise auf der Bühne der Münchner Kammerspiele, Lacher spielte am Residenztheater. An diesem lauen Frühlingsabend jedoch, sitzen die beiden an zwei Tischen in Moosach, den Text des Stückes vor sich. Denn um eine "szenische Lesung" soll es sich handeln. Ein performativer Versuch, den Zuschauer am Entstehungsprozess eine Stückes teilhaben zu lassen, sei das, erklärt Axel Tangerding, Gründer und künstlerischer Leiter des Meta-Theaters. Regisseurin Dagmar Knöpfel, die unter anderem mit dem Film "Brigitta" bekannt wurde, hatte die Idee dazu und freut sich, wie sie sagt, Werles kraftvollen Text auch schon in dieser puren Form eine Bühne zu geben.

Shenja Lacher hat seine Textpassagen mit einem gelben Marker hervorgehoben, Hunstein mit einem rosaroten. Er ist der Maler Parrhasios, Theseus Hof- und Lieblingskünstler. In dessen Atelier kommt Hippolytos, anstatt sich mit seinen neuen Herrscheraufgaben zu beschäftigen. Er hadert. Freilich, sein Vater ist ein großer Held, besiegte all seine Gegner, doch wirklich zimperlich war er mit ihnen nicht. Das Wissen um seine Grausamkeit macht Hippolytos zu schaffen. Denn ein "künftiger Verbrecher" will er selbst nicht sein. "Ich bin bereit zu kämpfen, aber ich will nicht grausam sein", sagt er und weiß, dass er mit dieser Einstellung in den Augen seines Vaters als "Memme" gelten würde.

Das Töten würde er also lernen müssen, ebenso wie die Kunst "den Schmerz zu ertragen". Wie sich herausstellt, musste Parrhasios diese Kunst auch lernen, denn für eines seiner Gemälde brachte Theseus einen Sklaven in sein Atelier und ließ ihn zu Tode foltern. Damit der Künstler seinen Sieg über den Prokrustes möglichst naturgetreu würde malen können. Das Entsetzen in Hippolytos Gesicht ob dieser Neuigkeit wird noch übertrumpft, als Parrhasios ihm das entstandene Bild zeigt. So lebensecht, so schrecklich hat er die Qualen des Mannes auf die Leinwand gebannt.

Wie konnte Parrhasios das zulassen, wie konnte er dieses Bild malen? Der junge Herrscher ist außer sich. Keine andere Wahl habe er gehabt, versucht Parrhasios zu erklären, Hippolytos kenne doch den eigenen Vater. Das will dieser allerdings nicht hören. Für ihn hat der Anblick des Bildes etwas zerstört. Er will, dass irgendjemand den grausamen Tod des unschuldigen Sklaven sühnt. Dafür schreckt er auch selbst nicht mehr vor Grausamkeit zurück, dafür wird er zum erbarmungslosen König und befiehlt dem Maler, den Leichnam des Sklaven in seinem Garten wieder auszugraben. Eine Nacht gibt er ihm Zeit. Als er jedoch am nächsten Morgen zurückkommt, hat Parrhasios weder Leiche noch Gebeine gefunden.

"Steig in die Grube", befiehlt ihm Hippolytos da, und spätestens in diesem Moment ist klar, dass Hippolytos nun doch geworden ist wie sein Vater, und darüber hinaus nicht dem Maler, sondern sich selbst ein Grab schaufelt. Denn auf wundersame Weise verwandelt sich Parrhasios in einen Feigenbaum, fügt sich resigniert in dieses Schicksal. Er weiß und bereut schließlich schon lange, dass er mit seiner Kunst Grausames geschaffen hat. "Der Maler, der nicht Landschaft malte, wird jetzt selbst zur Landschaft", sagt er noch. Hippolytos indessen lässt seine Schiffe bemannen, um nach Athen zu segeln.

Wiederum am folgenden Morgen, nach einem Albtraum, in dem Autor Werle die ursprüngliche Geschichte der Stiefmutter, die ihren Stiefsohn verführt, in seine Version der Geschichte bringt, wird dem jungen König klar, was er getan hat. Verzweiflung packt ihn, als er auf einer Mauer steht, neben dem von ihm gepflanzten Feigenbaum, der einmal ein Maler war, und seine Kriegsschiffe im Hafen betrachtet. In einem weiteren Anklang an den Text, wie Euripides ihn geschrieben hat, glaubt Hippolytos in der Ferne eine jüngere Version seiner selbst zu sehen, vom eigenen Streitwagen zu Tode geschleift. Dieser Anblick, zusammen mit dem Wissen, dass er nun selbst Schuld auf sich geladen hat, stürzen ihn von der Mauer in den Tod.

Betroffenes Schweigen herrscht im Saal, nachdem die Lichter aus und wieder angegangen sind, gefolgt von begeistertem Applaus. Schnell wird im folgenden Gespräch mit Schauspielern, Regisseurin und dem ebenfalls anwesenden Autor klar, dass Werles Text in seiner Wortgewalt Thematiken aufspannt, die Relevanz weit über eine Theaterbühne hinaus besitzen. "Wie geht etwa journalistische Berichterstattung mit Bildern um, die Gewalt zeigen?", sagt Axel Tangerding, inwieweit werde da mit dem Leid unschuldiger Menschen, Geld verdient. Aber auch Debatten um die "Verrohung der Zuschauer", wie sie in den sechziger Jahren geführt wurden, erwähnt er, als beispielsweise der Film "Bonny und Clyde" gewaltsame Schusswechsel zeigte.

Um den performativ, experimentellen Gedanken der szenischen Lesung aufzugreifen, spricht Knöpfel auch über Ideen, wie der Text dramaturgisch umgesetzt werden könnte. Mehrere Stimmen aus dem Publikum bekräftigen, genau diese reduzierte Version habe besondere Wirkkraft erzeugt. Beinahe schade sei da, dass die Lesung ein "Unikat" bleiben und in dieser Form nicht wiederholt werden wird. Umso spannender ist also, für welche Art der Umsetzung sich Knöpfel und die beiden Schauspieler entscheiden werden. Ungefähr in einem Jahr sei eine tatsächliche Premiere denkbar, so Tangerding.

© SZ vom 09.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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