Kulturpreis der SZ:Mama Afrika im Rathaus-Speicher

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Kandidatin für Tassilo: Antje Berberich, 78, ist nicht nur Ebersbergs unermüdliche Stadtarchivarin. In ihrem Refugium kümmert sie sich auch um Flüchtlinge und deren künstlerische Talente

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Nein, sie hat viel zu gute Umgangsformen, um deutlicher zu werden. Meistens verpackt sie ihren Ärger in Nebensätze, man liest ihn gewissermaßen mit, zwischen den Zeilen. Dabei ist Antje Berberich die Sorge um die Flüchtlinge eine Herzensangelegenheit, und man spürt förmlich, wie es in ihr brodelt, wenn sie mit ihrem Engagement hin und wieder auf Ablehnung stößt. Sie selbst kennt keine Berührungsängste, nicht nur weil sie so viele Sprachen spricht, dass sie sich immer irgendwie verständigen kann.

Es vergeht kein Besuch in ihrem Rathausbüro unter der Dachschräge, bei dem nicht zwischendurch eine Tür aufgeht und einer ihrer Schützlinge herein kommt. Mal ist es der zierliche Ibrahim aus Mali, dann der großgewachsene Maka mit den Rasterlocken und den blitzenden Augen. Dann klingelt das Telefon und Bakary ist in der Leitung, der junge Künstler aus dem Senegal, der bis vor Kurzem in der Rathausgalerie ausgestellt hat. Jetzt aber geht es gerade um eine mögliche Lehrstelle, ein wichtiges Telefonat steht an. "Moment kurz, da muss ich jetzt ein bisschen anschieben", sagt Berberich und streicht mit schlanken Fingern über ihr Smartphone, bis sie Bakarys Stimme hört und ihn zu sich bittet.

Antje Berberich ist Fahrdienst, Patin, Jobvermittlung und Wohlfahrt in einem. (Foto: oh)

Seit bald vier Jahren hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, jungen Flüchtlingen in Ebersberg zu helfen, "sie aufzufangen", wie sie sagt. Das tut sie, seit sie an jenem schrecklichen Tag im August 2014 mit dem Rad am Klostersee vorbei kam, wo eine Gruppe von ihnen am Ufer verzweifelt darauf hoffte, dass die Rettungskräfte den 20-jährigen Eritreer lebend finden würden, der gemeinsam mit ihnen zum See gekommen war. Die Hoffnung war vergeblich. "Ich bin einfach hingegangen und habe mit ihnen geredet", erzählt Berberich, "einer konnte französisch, einer ein paar Brocken deutsch, einer nur seine Sprache". Spontan bot sie ihre Hilfe an - Arbeit, Beschäftigung, erklärten ihr die jungen Männer, das könne ablenken vom Schmerz um den Freund, von der Angst vor der Zukunft, von den Traumata ihrer Flucht.

Und seither sind sie da und gehen ihr zur Hand, als Ein-Euro-Jobber, "jeder wie er kann", sagt sie. Arbeit gibt es im Archiv der Stadt genug. Wer kann, bekommt Schreibarbeiten von ihr, wer sich mit dem Schreiben, der deutschen Sprache schwer tut, schleppt Kisten, Archivalien, Regale oder Kunstobjekte in die Rathausgalerie oder ins Archiv. Auf Initiative Berberichs wurde vor 25 Jahren der Rathaus-Korridor im Obergeschoss in eine Ausstellungsfläche verwandelt, wo Künstler aus Ebersberg und der Region ebenso eine Plattform haben, wie überregionale Persönlichkeiten oder, wie gerade eben die Elftklässler des Grafinger Gymnasiums mit einer Ausstellung zu Ehren Max Mannheimers. Und natürlich auch die Flüchtlinge, die dort unlängst in Bild und Schrift von ihrem Schicksal erzählen durften.

Bakary Sarr, der Kunst studiert hat, malt inzwischen auf dem Rathaus-Dachboden, wo ein Teil des Archivs seinen Platz hat. Man erreicht ihn von Berberichs Büro aus über eine Art Hühnerleiter, welche die 78-Jährige jeden Tag x-mal hinauf und hinunter rennt. Helle Scheinwerfer beleuchten hier oben Bakarys Farben, Leinwände und Bilder. Makas Welt dagegen ist die der Musik. Auf seinem Handy spielt er ein Video vor von einem Auftritt mit Freunden im Münchner Backstage. Schon bei den ersten Klängen fängt er an zu wippen. Seit vier Jahren ist er hier, ohne Anerkennung. Den Job am Flughafen, den er bekommen hätte, durfte er nicht annehmen. "Aber wenn ich Musik mache, dann bin ich glücklich", sagt er und sieht zu Antje hinüber - zu Mummy, wie er sie nennt. Alle haben Kosenamen für sie, Mami, Mama - schließlich ist sie es, die sich um ihre Seele kümmert, sie ist die "Mama Afrika". Als nächstes will sie einen afrikanischen Abend organisieren, mit Musik von Makas Gruppe black dia, afrikanischem Essen. Sie sucht noch nach einem Ort dafür in Ebersberg.

Antje Berberich hat keine Organisation, die hinter ihr steht, sie ist gewissermaßen ihr eigener Helferkreis; sie ist Patin, Fahrdienst, Jobvermittlung und Wohlfahrt in einem - und hätte schon alleine dafür eine Auszeichnung verdient, von ihrem künstlerischen Engagement ganz abgesehen. Vor einigen Jahren hat sie eine Pflegefamilie für ein rumänisches Mädchen gesucht, beim Aufbau der Obdachlosenunterkunft in der Sieghartstraße hat sie sich engagiert, und was jetzt die Flüchtlinge im Archiv an Hilfsarbeiten leisten, haben eine Zeitlang psychisch kranke Jugendliche gemacht, denen sie ebenfalls geholfen hat.

Antje Berberichs Hauptaufgabe ist das Archivieren von Ebersbergs Geschichte. (Foto: Christian Endt)

Wenn sie nicht auch noch all die anderen Aufgaben hätte. Vor allem das Rathausarchiv, das sie vor fast einem Vierteljahrhundert übernommen, sortiert und immer weiter vergrößert hat: Ebersberger Geschichte in allen Regalen und Kisten: Akten, Protokolle, Postkarten, Fotos, was ihr in die Hände fällt, wird geprüft, kein Speicher darf, sobald sie davon weiß, leer geräumt werden, ohne dass sie ihn auf ortsgeschichtlich interessante Reliquien gescannt hat. Und dann ist da noch die Kunst. Über 300 Vernissagen hat sie organisiert, 3000 Kunstwerke von Ebersbergern gesammelt, Ausstellungen in die Rathausgalerie geholt. Für die Siebenbürger Sachsen im Landkreis ist sie als Pressesprecherin tätig, den Historischen Verein hat sie mitbegründet, sie ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und pflegt ihre Leidenschaft für vergessene Künstler. Sie kümmert sich um Nachlässe wie den des Künstlerehepaars Dressler oder des Afrikaforschers und Schriftstellers Kurt Heuser. Wenn sie Zeit habe, erzählt sie, fahre sie nach München in Antiquariate und versuche neues Altes zu entdecken. Antje Berberich gehört zu den Menschen, denen die Zeit immer zu wenig ist, für die der Tag 36 Stunden haben müsste, mindestens. Und dabei schläft sie ohnehin schon wenig, auf die Frage nach einem Termin bei ihr kann schon mal so eine Antwort kommen: "Bin um 8 Uhr im Archiv, kann auch 6 sein, bin wach." Schließlich will sie auch noch jeden zweiten Tag ins Fitnessstudio - wenn es geht, nimmt sie einen der Flüchtlinge mit - sie singt im evangelischen Chor, sie radelt leidenschaftlich gern, "eine Ratschrunde hab' ich auch". Dass neben Ehemann Dieter, ihrer Familie und ihren fünf Enkeln das Rathausarchiv ihr Dreh- und Angelpunkt bleibt, hat sicher ebenso mit ihrer eigenen Geschichte als Aussiedlerin zu tun wie ihr Engagement für die Flüchtlinge. Anfang der siebziger Jahren hatte sie ihre frühere Heimat verlassen. Vielleicht ist nach all den Jahren in Ebersberg immer noch der eine Wunsch ihre treibende Kraft, in der zweiten Heimat noch tiefere Wurzeln zu schlagen.

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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