Kommentar:Wer am längeren Hebel sitzt

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Angesichts der teils dramatischen Lebensläufe von Flüchtlingskindern, sind Ausnahmen von den starren Schulvorschriften sinnvoll

Von Jessica Morof

Integration durch Bildung: Dieser Ruf schallt seit Monaten laut durch den Landkreis und ganz Deutschland. Politik und Wirtschaft fordern, geflüchtete Menschen schnellstmöglich einzubinden - vom Kind bis zum Familienvater. Und das ist auch gut so. Schulbildung, Ausbildung, Weiterbildung, Arbeit bringen den neuen Mitbürgern soziale Kontakte, lehren sie die Sprache und geben ihnen eine tägliche Aufgabe. Doch wer kümmert sich um die Umsetzung? Die Familien und die Lehrer.

Sie stehen am Ende der Integrationskette und müssen sehen, wie sie mit den neuen Herausforderungen zurecht kommen. In manchen Fällen überfordert es beide Seiten, und dann verhärten sich die Fronten. Diesen Eindruck macht zumindest der Fall des syrischen Zwölfjährigen, der in die siebte Klasse der Mittelschule Aßling gehen soll - obwohl er sich damit vollkommen überfordert fühlt. Vielleicht versteht der Lehrer nicht, ihn einzubinden; vielleicht gelingt es dem Jungen nicht, sich zu öffnen; vielleicht beides.

Natürlich könnte man nun sagen: Es ist ja toll, dass der Junge aufgrund guter Leistungen schnell in die reguläre Klassenstufe wechseln darf, um Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen. Und natürlich kann nicht jede Familie selbst entscheiden, welche Klasse und Schule ihr Kind besuchen soll; weder deutsche noch zugezogene. Doch es macht den Eindruck, als würde das Schulamt rein aus Prinzipientreue auf seinem Standpunkt beharren. Man will sich nicht von einer Familie vorschreiben lassen, wie die Kinder beschult werden und zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Doch die Rechnung wird nicht aufgehen.

Zwar kann das Schulamt durchsetzen, dass der Junge trotz der vom Arzt bestätigten Ängste jeden Tag in die ungeliebte Klasse geht - wie es übrigens auch tausende Kinder deutscher Eltern täglich tun. Doch Freude am Lernen und Freunde wird er so nicht finden. Und geht er zurück in die Übergangsklasse, wird er vermutlich das Gefühl haben, zu scheitern, und sich erst recht zurückziehen. Sicherlich ist das nicht die Schuld des Schulamts allein; die Eltern üben Druck auf die Schule aus, den auch das Kind zu spüren bekommt. Und die Angst steigt weiter.

Doch warum ist es nicht möglich, alle Beteiligten an einem Tisch zusammenzubringen? Den Lehrer, den Rektor, das Schulamt, aber auch die Familie und einen Arzt? Vielleicht braucht es auch eine außenstehende Person, die als Mediator eingreifen kann, oder einen Psychologen. Denn: Dass bei Kindern aus Flüchtlingsfamilien nicht immer Unterricht und Schulsystem nach Vorschrift gelten kann, sollte bei den teils dramatischen Lebensläufen klar sein. Da fehlt es deutlich noch an zusätzlicher Unterstützung, an Mittlern zwischen Schulen und Familien. Denn nicht nur Bildung macht Integration, sondern vor allem das Zusammenarbeiten.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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