Kommentar:Radau in grün

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Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Nachdem die etablierten Stadtratsfraktionen nicht gerade zimperlich mit der Raumnot der VHS umgeht, verbleibt das Bündnis für Grafing (BfG) als einziger Unterstützer der Erwachsenenbildung

Von Thorsten Rienth

Die Überraschung der Sozialausschusssitzung war nicht, dass im Grafinger Kultur- und Bildungssektor Raumnot herrscht. Das sind die Grafinger seit der Schließung weiter Teile der Rotter Straße 8 leidlich gewohnt. Erstaunlich war, dass die Grünen plötzlich in bester Bierzeltmanier gegen die Volkshochschule wetterten: "Mir ist die VHS wurscht, wenn Mütter keinen Platz für ihre Kinder haben", brauste Christiane Goldschmitt-Behmer auf. Und weiter: Dann müsse man zur VHS halt sagen "dann geht!"

Was die Grünen als Ehrlichkeit verkaufen, ist in Wirklichkeit bildungspolitischer Populismus. Solchen kannten die Grafinger bislang eher vom anderen Ende des Grafinger Parteienspektrums. Dort, wo Investitionen in Bildung außerhalb klassischer Schulen als hippieske Selbstverwirklichung gelten. Was nun wirklich nichts sei, das mit öffentlichem Geld unterstützt gehöre.

Wolfgang Huber, Nachfolger von Christiane Goldschmitt-Behmer an der Grünen-Fraktionsspitze, wird also einiges zu erklären haben in den nächsten Tagen: Ob die VHS-Attacke seiner Kollegin lediglich ein unüberlegter Ausrutscher war? Oder die Sitzung einen radikalen Wendepunkt der grünen Fraktionslinie bedeutet? Was auch immer davon der Dienstagabend war: Er zeigte, wie blank die Nerven liegen. Niemand anderes als die Stadträte selbst tragen dafür die Verantwortung. Einmal, weil in ihrer Prioritätenliste die VHS jahrelang nur knapp über der Ausbesserung von Schlaglöchern rangierte. Deshalb ist die Substanz gering und die auch noch marode. Ein andermal, weil eine Stadtratsmehrheit lieber Hunderttausende für eine nachweislich überflüssige Sportstättenanbindung der Ostumfahrung ausgibt. Deshalb sind Haushaltsüberschüsse knapp. Jedenfalls zu knapp für Investitionen in Bildungsräumlichkeiten.

Das klang im Kommunalwahlkampf 2014 noch ganz anders: Sie wollten ihre Stadt zum Bildungsstandort Nummer Eins im Landkreis Ebersberg machen, war eine der damals seltenen parteiübergreifenden Einigkeiten. Das Versprechen ist heute weich wie Billigpappe im Sommerregen.

So kann im Interessendreieck zwischen VHS, Jugendorchester und Kindergarten passieren, was eigentlich nach Kräften verhindert gehört: Dass Kultur gegen Bildung aufgerechnet wird und Kindergartenplätze mit Gesundheitsangeboten für Senioren konkurrieren.

Vor drei Jahren trieben die Grünen in der Bildungspolitik die CSU vor sich her. Seit Dienstagabend sind die Grünen die Getriebenen. Hinter ihnen springt das BfG in die Lücke und jubelt sich dankbar zum einzigen verbleibenden VHS-Unterstützer im Grafinger Stadtrat hoch.

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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