Kommentar:Offene Debatte gescheut

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Der Grafinger Stadtrat traut sich nicht an die Erhöhung der Grundsteuer - und verzichtet auf Einnahmen, die die Stadt dringend nötig hätte

Von Thorsten Rienth

Grafing leistet sich ein Freibad, eine Stadthalle, ein Eisstadion, dazu noch jede Menge Krippengruppen und Ganztagsklassen, bald soll ein weiterer Hort dazukommen. Es ist nicht lange her, da eröffnete die Stadt einen riesigen neuen Parkplatz in Grafing-Bahnhof. Nicht einmal 20 Minuten braucht der Eilzug von dort an den Münchner Ostbahnhof. Um es fußballerisch auszudrücken: In Sachen Lebensqualität spielt Grafing in der Champions League.

Die Liste der Annehmlichkeiten ist lang. Weil sie nicht umsonst sind, will das Bündnis für Grafing (BfG) die Grundsteuer erhöhen. Etwa 430 000 Euro könnte dies laut Berechnungen der Stadtverwaltung an jährlichen Mehreinnahmen bringen. Das sei, argumentiert das BfG, sogar mehr als das letztjährige Defizit des Freibads. Der Aufschrei folgte prompt und war ziemlich laut. Alleine schon der Debatte um eine Steuererhöhung attestierte Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) eine "fatale Wirkung". Eine gegen Steuern wetternde grüne Bürgermeisterin - das wird man in vielen Grafinger Kreisen wohlwollend zur Kenntnis nehmen.

Aber müssen Symbole und Signale wirklich so stark gewichtet werden? Im Falle der Grafinger Grundsteuer sicher nicht. Die Emotionalität des Themas einmal ausgeblendet, liegen die besseren Argumente tatsächlich beim BfG: Von einer kosmetischen Anpassung vor einigen Jahren einmal abgesehen, wurde der Hebesatz der Grundsteuer B zuletzt im Jahr 1997 angehoben. Bei der Grundsteuer A ist es sogar schon Jahrzehnte her. Ein beachtlicher Teil der Hebesatzerhöhung ist deshalb gar keine Steuererhöhung, sondern ein Ausgleich der Inflation, die seither stattgefunden hat. Den Mumm, das auch so anzusprechen, hatte von den Kritikern niemand. Und diejenigen, die diesen Zusammenhang aus Eigeninteresse hätten thematisieren müssen, schalteten lieber auf Attacke.

Niemand verlangt von Grafing, die aktuell unterdurchschnittlichen Hebesätze ins andere Extrem umzukehren. Unterm Strich verzichtet die Stadtrat jetzt großzügig auf Einnahmen. Dauerhaft lässt es sich in der Champions League mit einem Zweitligaetat aber nicht spielen.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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