Kommentar:Ich, einfach unverbesserlich

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Dürfte ein Rathauschef quasi per Dekret eine Entscheidung des Gemeinderates aushebeln, könnte man sich das Gremium gleich sparen.

Von Wieland Bögel

In Frankreich, wo bekanntlich die moderne Demokratie erfunden wurde, gibt es für eine schwierige politische Situation ein schön klingendes Wort: Cohabitation. Dies könnte man wörtlich mit "Wohngemeinschaft" übersetzen, gemeint ist allerdings eine Situation, in der der Präsident der einen und die Mehrheit im Parlament einer anderen Partei angehört. Wie die Mitglieder einer Wohngemeinschaft müssen beide Akteure einen Weg zu einem möglichst gedeihlichen Miteinander finden. Auch in Vaterstetten gibt es - zumindest in einer ganz bestimmten Sache - eine solche Cohabitation: wenn es um die Umgehung für Parsdorf und Weißenfeld geht.

Der Bürgermeister gehört gewissermaßen zur Partei der Umgehungsgegner, während die Mehrzahl der Gemeinderäte - auch über eigentliche Parteigrenzen hinweg - zu den Umgehungsbefürwortern zählen. Bislang lief das Miteinander dieses seltsamen Paares einigermaßen friedlich ab, von gelegentlichen Spitzen in die eine oder andere Richtung abgesehen. Nun aber hat es in der Vaterstettener Wohngemeinschaft gekracht, und zwar gewaltig. Der Bürgermeister hat, ohne sein Gremium dazu auch nur anzuhören, versucht, Fakten zu schaffen, die nicht der Mehrheit im Gemeinderat entsprechen. Planungen für eine von dieser Mehrheit beschlossenen Straße werden auf Eis gelegt, bis eine eigenmächtig veranlasste Neuprüfung abgeschlossen ist.

Dies ist aus mehreren Gründen nicht empfehlenswert. Zum einen kann es gut sein, dass der Bürgermeister seine Kompetenzen überschreitet. Dürfte ein Rathauschef quasi per Dekret eine Entscheidung des Gemeinderates aushebeln, könnte man sich das Gremium gleich sparen. Möglich, dass das Gesetz im konkreten Fall ein Schlupfloch lässt - doch selbst dann wäre Reitsberger gut beraten, den de-facto-Planungsstopp für die ungeliebte Umfahrung wieder aufzuheben. Denn je länger dieser andauert, desto größer ist das Risiko für ein komplettes Scheitern des Projekts und den Verlust von Zuschüssen in Millionenhöhe. Lässt man das Geld einfach verfallen, drohen neben politischem Ärger ganz handfeste Folgen, zivil- wie strafrechtlich.

Natürlich bleibt es dem Bürgermeister unbenommen, andere Streckenvarianten untersuchen zu lassen, wenn er sie für besser hält. Allerdings bevor er eine bestehende Planung stoppt. Sollte die Prüfung nahelegen, dass die neue Variante wirklich besser ist, sollten diese Ergebnisse im Gemeinderat vorgelegt und diskutiert werden. Das wäre der richtige Weg - demokratisch und zwischenmenschlich. Denn wie in einer Wohngemeinschaft ist es auch in der Cohabitation besser, die Dinge auszureden als türenschlagend den Raum zu verlassen.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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