Kommentar:Grausames Spiel

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Zwischen Kuh und Schnäppchenjäger schieben sich die Akteure gegenseitig die Schuld am Preisverfall in die Schuhe

Von Jessica Morof

Es ist ein einfaches, aber grausames Spiel: Zuerst hoppeln eine ganze Menge süße Schneehäschen durchs Gebirge und vermehren sich wie die Karnickel. Doch viele Hasen bedeuten auch viel Futter für den Luchs, der sich bei dieser Masse ganz leicht den ein oder anderen Hüpfer schnappen kann. Mit vollem Magen vermehren sich dann auch die Luchse besser und brauchen wiederum mehr Futter. Schnell ist das Hasen-Buffet vernichtet - und schon nimmt auch die Zahl der Luchse wieder ab. So einfach ist der Lauf der Natur: auf und nieder, immer wieder. Räuber-Beute-Modell nennen die Experten das.

Ganz ähnlich verhält sich auch die Wirtschaft: Steigt die Nachfrage, steigt auch der Preis. Wächst dann das Angebot, fällt der Preis wieder in sich zusammen. Das bekommen derzeit die Milchbauern zu spüren: Nachdem sich der Milchpreis in den vergangenen Jahren von unter 30 Cent pro Liter auf bis zu 40 Cent in die Höhe geschraubt hat, sinkt er aktuell wieder ab. Die Nachfrage sei gedeckt, zu viel Milch überspüle den Markt, lautet die Begründung. Die Schuld schieben sich die verschiedenen Akteure gegenseitig in die Schuhe: Discounter machen Schleuderpreise; Molkereien zahlen den Landwirten zu wenig; die Bauern produzieren unkontrolliert und viel zu viel; die Politik hält sich raus und überlässt den Markt seinen eigenen Regulierungsgesetzen. Es ist eine lange Kette Beteiligter, die sich, marktwirtschaftlich betrachtet, alle vollkommen logisch verhalten. Denn jeder versucht, für sich das beste herauszuholen: die höchste Marge, den meisten Gewinn, den größten Ertrag.

Doch am einen Ende der Kette steht die Kuh, die mit ihrer Leistungsfähigkeit alles auffangen soll und sich nicht wehren kann. Und am anderen Ende steht der Kunde, der den Preis in der Hand hat. Getreu dem Räuber-Beute-Schema sucht er immer nach dem günstigsten Preis, vor allem bei Lebensmitteln. Anderen Nationen gelten wir Deutschen als Schnäppchenjäger, für die es bei schicken Autos und Luxusurlauben auch mal ein bisschen mehr sein darf; bei Gemüse, Obst und Tierprodukten aber schön günstig sein soll. Ausbaden dürfen es dann die anderen. Es ist ein einfaches, aber grausames Spiel. Doch wir sollten es eigentlich besser wissen.

© SZ vom 01.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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