Kommentar:Geschwätz von gestern

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Bei jeder Gelegenheit sprechen die Grafinger Stadträte davon, wie wichtig günstige Wohnungen sind. Nur ihr Handeln richten sie danach nicht aus

Von Thorsten Rienth

Für Grafings SPD-Chefin Regina Offenwanger sind "günstige Mieten wesentliche Voraussetzungen für sozialen Frieden". Von Susanne Linhart (CSU) stammt der auf die Wolfschlucht-Misere bezogene Satz: "Wir können die Gelegenheit nutzen, aus den Fehlern von früher zu lernen." Die Grafinger Grünen strapazieren den Satz vom "günstigen Wohnraum für Menschen mit geringerem Einkommen" sowieso bei jeder Gelegenheit. Als vor ein paar Monaten der Anstieg des Grafinger Bodenrichtwerts von 650 Euro auf 950 Euro je Quadratmeter offiziell wurde, waren sich die Stadträte fraktionsübergreifend einig: Neue Wohnungen brauche es, vor allem kleine und günstige. Wie gut, dass ihnen die Bauleitplanung dafür Mittel zur Hand gebe.

Irritierend ist nun, wie die selben Stadträte diese Mittel genau in die entgegengesetzte Richtung verwenden: Nicht etwa, um zusätzliche Wohnungen zu ermöglichen, stülpt das Gremium gerade einen Bebauungsplan über den Ortsteil Wiesham. Sondern, um sie zu verhindern. Mehr Wohnungen gefährdeten Wieshams dörflichen Charakter, finden seine Mitglieder. Dieser Ansicht kann man freilich sein. Nur sollte man dann vorher nicht mit günstigen Wohnungen Wahlkampf machen.

Zumal der Wieshamer Fall nicht weit vom Treppenwitz liegt: Die Abmaße des Gebäudes bleiben auf den Zentimeter genau gleich. Lediglich die Aufteilung im Inneren wäre eine andere. Er bekäme auf dem Grundriss noch eine weitere Wohnung unter, meint der Bauherr. Noch dazu eine kleine, also genau das, was Leute brauchen, die nicht gerade als Beamte arbeiten oder am oberen Ende von Tarifverträgen eingruppiert sind.

Es mag in Wiesham lediglich um diese einzige Wohnung gehen. Aber das Votum des Stadtrats reflektiert eine gefährliche provinzielle Grundhaltung: Geht es um die Beschaulichkeit, müssen günstige Mieten eben hintenanstehen.

In ihrer jüngsten Sitzung verweigerten sich die Stadträte einer Debatte sogar komplett. Obermayrs radikale Beschlussvorlage winkten sie ohne eine einzige Wortmeldung durch. Offensichtlich muss man dem Gremium mit Argumenten auf der persönlichen Ebene kommen: Vier von fünf seiner Mitglieder sind heute über 50 Jahre alt, etwa ein Drittel über 60. Im Jahr 2034 werden laut Statistischem Landesamt 30,8 Prozent der Grafinger mindestens 65 Jahre alt sein, 12,7 Prozent sogar älter als 75. Letztere machen dann 1850 der für 2034 prognostizierten 14 500 Grafinger aus. Was, wenn die Altenpfleger bis dahin weg sind, weil sie sich keine Wohnung mehr leisten konnten?

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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