Kommentar:Dreiste Zurschaustellung

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In Ebersberg gibt es keine rechte Szene? Wer das bislang geglaubt hat, muss nur einmal genauer hinsehen. Die neuen Nazis tragen ihre Gesinnung inzwischen per Botschaft auf der Kleidung ganz offen herum

Von Anselm Schindler

In Ebersberg gibt es keine Nazis, geschweige denn eine Szene: Das ist Konsens, von der örtlichen CSU über die Polizei bis hin zum Staatsschutz. Der rassistische Angriff auf den Besitzer und die Mitarbeiter eines Döner-Imbiss' mitten in Ebersberg zeigte am Wochenende etwas anderes. Dass im Raum Ebersberg gerade kein NPD-Ortsverband, keine Kameradschaften und keine offen rechten Vereine existieren, heißt im Rückschluss nicht, dass es deshalb keine Nazis gäbe. Gerade die junge, "hippe" Naziszene tritt subkulturell auf, sie ist kaum greifbar. Um diese "modernen" und scheinbar unorganisierten Rechten im Blick zu haben, braucht es Aufmerksamkeit, im Internet wie im realen Alltag.

Mittwochvormittag, Ebersberg, Marienplatz: Unbehelligt überquert ein junger Mann die Straße. Er trägt kurze Hosen, seine bleichen Beine bilden einen Kontrast zur sonst durchgehend schwarzen Kleidung. Man könnte ihn für einen linken Autonomen halten, wäre da nicht der große Aufdruck auf der Rückseite seines Pullovers: "Legion Deutschland" steht dort. "Deutschland" ist in Frakturschrift aufgedruckt. Die Wörter sind von Blitzen umrahmt. In der Naziszene wird das oft als ein positiver Bezug auf die Waffen-SS verstanden, deren Blitz-Logo verboten ist.

Im Stechschritt geht der Mann Richtung S-Bahnhof, vorbei an den halb heruntergekratzten Aufklebern der völkisch-rassistischen "Identitären", die an den Bänken und Verkehrsschildern am Marienplatz kleben. Vorbei am E-Einz hastet er Richtung S-Bahn. Beim Dönerladen an der S-Bahnstation zeugt ein Loch in der Glastür noch vom Überfall am Wochenende. Eine lärmende Grundschulklasse steht im Bereich vor der Tür. "Da arbeitet ein Ausländer drin und die mögen den nicht", erklärt ein kleines Mädchen. "Wer sind die?", erwidert ein Klassenkollege. "Weiß ich nicht", sagt das Mädchen. Während sie sprechen, zieht der junge Nazi an ihnen vorbei.

"Augen auf" muss die Devise heißen in einer Zeit, in der fast täglich Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte bekannt werden und in der mitten in Ebersberg Menschen aufgrund ihrer Herkunft verprügelt werden. Wenn Rechtsradikale sich trauen, so offen ihre Gesinnung zur Schau zu stellen, dann hat die Gesellschaft etwas versäumt. Auch in Ebersberg.

© SZ vom 01.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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