Kirchtumdenken der Kommunen:An den Grenzen nicht grün

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Viele Gemeinden liefern sich immer wieder Nachbarschaftsstreitigkeiten, weil sie sich gegenseitig Gewerbe- oder Neubaugebiete vor die Nase setzen

Von Wieland Bögel, Christina Hertel und Alexandra Leuthner

Kirchturmdenken, das ist etwas, was Plienings Bürgermeister Roland Frick (CSU) nicht ausstehen kann, sagt er. Deshalb gehört er zu den treibenden Kräften hinter der Zwölf-Kommunen-Initiative für ein gemeinsames Verkehrskonzept im Münchner Osten. Seit März gibt es einen von allen unterschriebenen Vertrag, der als ersten Schritt eine Untersuchung unter dem sperrigen Namen "Mobilität im Raum Münchner Osten" beinhaltet, im September soll es fertig sein.

Nun aber droht es Pliening ebenso wie Vaterstetten, Poing oder Feldkirchen - alles Mitglieder der Zwölf-Kommunen-Allianz - schon wieder neuen Verkehr in die Straßen zu spülen, weil ein Nachbar Wachstumspläne hat. "Kirchheim 2030" heißt das Vorhaben, das die Gemeinde im Landkreis München in den kommenden zwölf Jahren von heute knapp 13 000 auf gut 16 000 Einwohner wachsen lassen soll. Zwischen den Ortsteilen Kirchheim und Heimstetten sollen Wohnungen, ein neues Rathaus mit Bürgerhaus, ein neues Gymnasium sowie Einrichtungen für Kinder und Senioren unterkommen.

An der A 94 will Vaterstetten BMW ansiedeln, zu weit draußen, sagen die Poinger, deren eigenes Gewerbe, die Firma Schustermann und Borenstein (im Rückspiegel), aber auch weit draußen liegt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Frick, der nach eigenem Bekunden mit dem Kirchheimer Kollegen und Parteifreund Maximilian Böltl "immer wieder zusammen sitzt", kann seinen Ärger indes kaum verbergen. 5 800 Autos mehr als heute werden laut einer Untersuchung durch das neue Baugebiet fahren, davon nur 20 Prozent in Richtung A 99 auf der Staatsstraße, der Rest würde sich auf die Straßen im Umfeld verteilen. Dort liegen Pliening, Poing und Vaterstetten - der dortige Gemeinderat hat ebenso wie die Plieninger Kollegen schon mal abgewunken.

Die Gruber Straße, die Hauptstraße Richtung Weißenfeld, die M1/Feldkirchner Straße werden unter anderem in der Vaterstettener Stellungnahme aufgelistet, überall dort würden mehr Autos fahren. Wie viele aber wisse man nicht, es sei ja im aktuellen Gutachten keine genauere Untersuchung erfolgt. Die "Belange der Gemeinde sind überhaupt nicht berücksichtigt worden", heißt es in der Stellungnahme. Das aber müsse laut Baugesetzbuch "bei drohender Beeinträchtigung" der Nachbarn geschehen. Ähnlich argumentieren sie auch in Pliening. Nach Zahlen von 2015 liege die Verkehrsbelastung auf der Staatsstraße 2082 zwischen der Autobahnanschlussstelle A 99 und der Einmündung einer Gemeindestraße östlich von Kirchheim, nahe der Gemeindegrenze zu Pliening, jetzt bei etwa 16 500 Fahrzeugen pro Tag. Die Zahl von 5 800 mehr Fahrzeugbewegungen täglich erscheine in Anbetracht des Gesamtkonzepts zu gering.

Hier zu sehen ist das geplante Neubaugebiet Kirchheim 2030 zwischen Kirchheim und Heimstetten. (Foto: oh)

Besonders aber ärgert man sich hier darüber, dass eine mögliche Entlastungsstraße durch eine Verbindung von der St 2082 zur Kreisstraße M 1/Feldkirchen - Poing zwar erwähnt, aber letztlich nicht weiter ausgeführt werde, weil sie "hauptsächlich den Nachbargemeinden von Kirchheim zugute" komme. Lediglich der Umbau des "Kirchheimer Eis", eines Kreisels auf der St 2082, in eine ampelgesteuerte Kreuzung werde untersucht. "Ich glaube nicht, dass das ausreicht", sagt Frick.

Er mache sich wegen der Stellungnahmen aus Pliening und Vaterstetten keine Sorgen, sagt Kirchheims Bürgermeister Böltl. "Wir lehnen ja auch immer wieder Bauvorhaben aus anderen Gemeinden ab." Die Zusammenarbeit sei trotzdem gut. Selbst wenn seine Gemeinde in den nächsten zwölf Jahren von 13 000 Einwohner auf 16 200 anwachse, sei das immer noch unterdurchschnittlich - verglichen mit Kommunen in der Nachbarschaft.

Nun wären die Plieninger vielleicht nicht ganz so gegen die Kirchheimer Pläne, wenn die Gemeinde nicht vor Jahren einer der Sargnägel für eine Plieninger Umgehungsstraße gewesen wäre. Just an der geplanten Anschlussstelle wollte Kirchheim sein Gewerbegebiet vergrößern - und dann war da die Angst, dass zu viel Verkehr nach Kirchheim fließen könnte. Was man übrigens ganz ähnlich in Poing sah. Gleich zwei Anschlussstellen hätten hier nördlich des Bergfeldrings auf die Umfahrung geführt, die Sorge war vielleicht nicht unberechtigt. Die Folge: Ein Nein von beiden Nachbarn, die Umfahrung liegt seit 2015 auf Eis. Dafür aber erfreut Poing seine Plieninger Nachbarn mit Neubaugebieten. Um knapp 3 000 Neubürger ist der Ort seit 2010 gewachsen, deren Autos auf dem schnellsten Weg durch die Plieninger Ortsteile Ottersberg und Gelting zur FTO und zur A 94 fahren oder durch Pliening und Landsham auf die A 99.

Poing und Vaterstetten tragen seit Jahren ihre eigenen Scharmützel aus. Hatte man noch 2007 von einem interkommunalen Gewerbegebiet nördlich von Parsdorf und südlich von Grub geträumt, das beiden Kommunen Steuereinnahmen ins Gemeindesäckel spülen sollte, zerschlug sich der schöne Plan, weil man befürchtete, von der jeweils anderen Seite bei der Verteilung jener Steuern über den Tisch gezogen zu werden. Ganz großer Streit kam dann wegen des von Vaterstetten geplanten Einkaufszentrums in Parsdorf auf. Mehr Verkehr in ihren Straßen, dafür ein Abfluss an Kaufkraft, befürchtete vor allem Poing. Die Retourkutsche kam 2013, als Poing südlich von Grub den Modehändler Schustermann & Borenstein ansiedelte, direkt an der Gemeindegrenze - mit einer Ausgleichsfläche direkt daneben und Brutflächen für Lerchen. Die können nun woanders brüten, wenn es nämlich Vaterstetten gelingt, BMW dort hinzulocken. Die Gemeinde plant ihre Ausgleichsflächen nicht auf der Poinger Seite, sondern in Richtung Vaterstetten. Poing hat die Pläne soeben abgelehnt.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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