Jugendkulturpreis:Ohne Beipackzettel

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Sebastian Otter, Bakary Sarr, Anne Liebegott, Blandine Ehrl, Babsi Lux und Max Bauer (von links) tasten sich an die eingereichten Arbeiten heran. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für die fünf Juroren des Jugendkulturpreises ist es nicht einfach, die eingereichten Werke zu beurteilen - vor allem, weil erklärende Worte meist fehlen

Von Anja Blum, Ebersberg

Schon nach kürzester Zeit rauchen den Juroren sichtlich die Köpfe. Und zwar nicht nur, weil eine der eingereichten Arbeiten dezidiert ein Ratespiel ist, sondern weil irgendwie fast alle Werke Fragen aufwerfen.

"Wachsen" lautete in diesem Jahr das Thema des Jugendkulturpreises, den der Kreisjugendring vergibt. Um die Einreichungen zu beurteilen, holt sich der Verein allerdings externe Expertise: Am Montagabend fanden sich Babsi Lux vom Alten Kino, Anne Liebegott, Grafikerin und Künstlerin, Geräuschemacher Max Bauer, Sebastian Otter vom gleichnamigen Buchladen und Bakary Sarr, Künstler aus dem Senegal, im Studio an der Rampe ein, um die diesjährige Ausbeute zu begutachten. Die Räumlichkeit im ersten Stock seiner Galerie im Klosterbauhof stellt der Kunstverein seit vergangenem Jahr für den kreativen Nachwuchs zur Verfügung.

Um die Preisvergabe möglichst fair zu gestalten, sichtet die Jury die Arbeiten zunächst völlig anonymisiert, sprich ohne Angabe von Alter oder gar Name. Doch gänzlich ausblenden lässt sich dieser Faktor freilich nicht ganz - so dass das große Rätseln sogleich beginnt. Manchen Werken meint man, das Geschlecht oder das Alter seines Schöpfers deutlich anzusehen - doch die spätere Auflösung zeigt, dass sich selbst erfahrene Juroren dabei manchmal täuschen. Und darüber hinaus tauchen immer wieder Fragen auf, schließlich werden die Arbeiten oftmals ohne erläuternden Beipackzettel abgegeben.

Bei einer Fotoserie zum Beispiel ist nicht überliefert, ob sie ausgedruckt an der Wand angesehen werden sollte oder als Diashow am Computer. Die Jury probiert kurzerhand beides aus - und entscheidet sich schließlich für eine digitale Präsentation. "Da kommen die Bilder viel besser rüber", konstatiert nicht nur Bauer. Ebenfalls unklar bleibt, wie, also mit welcher Technik, die abstrakten Verfremdungen auf den Fotos entstanden sind. Doch das macht sie umso spannender.

In anderen Fällen fragt sich die Jury schlicht: "Was soll uns dieses Kunstwerk sagen?" Eine comicartige Pinocchio-Darstellung etwa endet damit, dass die Fee lange Ohren bekommt. Doch wieso? "Weil die so viel Schmarrn erzählt", meint Lux, doch dieser Ansatz vermag ihre Kollegen nicht so recht zu überzeugen. Die Arbeit bleibt also ebenfalls rätselhaft. Seine Fähigkeiten als Literaturexperte kann Otter bei einer Kinderzeichnung mit dem Titel "Waksen" unter Beweis stellen, gelingt es ihm doch recht schnell, einen eigentlich absolut unleserlich geschriebenen Satz zu entziffern. "Waksen", sagt Liebegott, "das finde ich toll, das sollte man auf T-Shirts drucken".

Fragen, die sich ebenfalls stellen, sind: Waren Erwachsene an der Entstehung der Arbeit beteiligt? Eine "Biosphäre" in der Glühbirne zum Beispiel legt das nahe. Oder: Ist das Werk für den Wettbewerb entstanden? Ein Kurzfilm ohne Themenbezug wohl eher nicht. Und zu guter Letzt: Was ist Kunst - und was gleicht eher Anschauungsmaterial für die Schule? Eine Installation zum Beispiel, die die Entstehung der Alpen erklärt, könnte auch gut im Erdkundeunterricht Verwendung finden.

Doch letztlich gehen die Juroren an diesem langen Abend immer vom Besten aus. Sie nehmen, das ist deutlich spürbar, ihre Aufgabe und die Teilnehmer an dem Wettbewerb sehr ernst und sich dementsprechend viel Zeit. Bei der Begutachtung der Werke achten sie auf alle Details, tauschen Assoziationen aus und bringen, je nach Profession, ihr Fachwissen ein. Allen gemeinsam ist auch, dass sie die Sache mit Humor angehen - es wird viel gelacht im Studio an der Rampe. Doch freilich niemals über die Werke der Kinder und Jugendlichen. Diesen stehen die Juroren kritisch, aber immer wohlwollend gegenüber. "Schau, wie der sich hier Mühe gegeben hat", sagt Liebegott über eine Zeichnung, die vermutlich von einem Jungen stammt.

Jeder Juror bekommt eine Liste, auf der er Punkte verteilen kann, jeweils von eins bis zehn. Bewertet werden Wirkung, Idee, Umsetzung, Technik und Themabezug. Am Ende ergibt sich meist ein klares Bild, nur in wenigen Ausnahmen liegen die Meinungen weit auseinander. "Kunst ist halt immer auch eine Frage des Geschmacks", sagt Bauer und lacht entschuldigend. Freie Hand hat die Jury auch bei der Verteilung des Preisgeldes von insgesamt 1000 Euro. Wie dieses an die Teilnehmer ausgeschüttet wird, hängt jeweils von der Art und Anzahl der Einreichungen ab.

Bilder, Objekte, Gedicht, Skulptur und Film: Zwölf Arbeiten wurden heuer abgegeben - in Anbetracht von 25 im vergangenen Jahr eine geringe Zahl "Wir hätten uns mehr erhofft", sagt Blandine Ehrl vom KJR und lädt die Jury zur Nabelschau. "Was meint ihr, woran liegt's?", fragt sie in die Runde. Doch auch hier können Lux, Otter und Co. nur rätseln. Ist das G 8, die mangelnde Zeit der Jugendlichen schuld? Kommt der Aufruf zum Wettbewerb bei den Kunsterziehern nicht richtig an? War das Timing schlecht - sollte der KJR das Thema früher oder später bekannt geben? Oder der Wettbewerb vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden? Die Köpfe der Juroren, sie hören einfach nicht auf zu rauchen an diesem Abend.

Die Preisverleihung findet am Freitag, 28. Oktober, um 19 Uhr im Studio an der Rampe im Klosterbauhof 6 in Ebersberg statt.

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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