Josef Riedl im Gespräch:"Feindbilder verfälschen die Wirklichkeit"

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Stadtpfarrer Josef Riedl sieht viel Unsicherheit, aber auch einige positive Signale. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Weihnachten als christliches Hochfest erhält eine Brisanz wie schon lange nicht mehr. Josef Riedl, Ebersberger Stadtpfarrer und Dekan, spricht über Rechtsradikalismus, das christliche Abendland und Personalnot

Interview von Anja Blum

Herbergsuche, Barmherzigkeit, Hingabe, Hoffnung: Angesichts der vielen Flüchtlinge erhält Weihnachten als christliches Hochfest eine Brisanz wie schon lange nicht mehr. Denn die Kirche feiert damit Jesu' Geburt, der nicht als starker König eines reichen Reiches auftritt, sondern als Bedürftiger in ein feindliche Welt voller Makel kommt. Ganz bewusst. So jedenfalls sieht es Josef Riedl, Ebersberger Stadtpfarrer und Dekan.

Helferkreise auf der einen, Rechtsruck auf der anderen Seite: Das Thema Flüchtlinge hat die Gesellschaft in Aufruhr versetzt und gespalten. Die Kirche auch?

Josef Riedl: Naja, aus Ebersberger Sicht kann ich das eigentlich nicht bestätigen. Hier war für beide Pfarreien sofort klar, dass wir uns da einbringen müssen. Deswegen haben wir den Helferkreis unter dem Dach des Kreisbildungswerks initiiert. Natürlich hört man auch hier kritische Stimmen, die Ablehnung oder zumindest große Bedenken formulieren. Aber große fremdenfeindliche Ereignisse gegen Asylbewerber in Ebersberg? Nein. Und den paar Kritikern gegenüber stehen viele positive Zeichen. Vor allem die vielen Menschen, die sich trotz aller Schwierigkeiten im Helferkreis engagieren, aber auch die Spenden für die Asylarbeit, die immer noch bei uns eingehen. Das freut mich sehr.

Zorneding ist in die Schlagzeilen geraten, weil der dortige Pfarrer, ein Kongolese, so lange geschmäht und bedroht wurde, bis er die Gemeinde verließ...

Ich weiß das natürlich, aber diese Pfarrei liegt nicht im Ebersberger Dekanat. Deswegen kenne ich diesen Fall auch nur aus der Ferne.

In Grafing und Kirchseeon gibt es ebenfalls dunkelhäutige Pfarrer...

Ja, aber von dort sind mir bislang überhaupt keine Probleme zugetragen worden.

Was würden Sie auf fremdenfeindliche Parolen erwidern?

Naja, das ist nicht einfach. Denn dahinter steckt ja meist eine diffuse Angst, mit der schwer umzugehen ist. Ich würde versuchen herauszufinden, wo sie konkret wird, und dann mit nüchterner Sachlichkeit dagegen argumentieren. Doch das Problem ist: Feindbilder vereinfachen die Wirklichkeit immer und verfälschen sie damit.

Gerade gläubige Menschen beklagen in diesem Zusammenhang oft den Verfall der christlichen Kultur des Abendlands...

Den kann man freilich auch wahrnehmen, aber er hat nichts mit den Asylbewerbern zu tun. Menschen, die zum Beispiel das "Vater unser" nicht auswendig können, gab es vorher auch schon viele. Und ich erlebe die Flüchtlinge in Ebersberg überhaupt nicht als missionarisch und auch nicht in provozierender Weise als demonstrativ gläubig.

Woher kommt es Ihrer Meinung nach, dass so viele Menschen Vorurteile haben?

Eine Krux unserer Zeit ist, dass sich Halb- und Unwahrheiten über die modernen Medien unglaublich schnell verbreiten und dann nicht wieder eingefangen werden können. Und die Menschen, habe ich den Eindruck, springen auch schneller auf Gerüchte auf als früher. So schwappen vermeintliche Tatsachen sogar in die Helferkreise rein - und können gerade dort großen Schaden anrichten: Wenn ich meine, der Asylbewerber bekommt haufenweise Geld vom Staat - warum soll ich ihm dann überhaupt noch helfen?

Sollte die Kirche in diesen Fragen vielleicht noch mehr Stellung beziehen, politischer sein?

Ach, ich finde, Kardinal und Landesbischof sind da schon recht deutlich. Sie haben klar gemacht: Jeder, der Zuflucht sucht, muss hier bei uns eine menschenwürdige Behandlung und ein faires Verfahren bekommen. Das hat nicht in erster Linie mit Barmherzigkeit zu tun, sondern ist ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit! Es ist problematisch, welche lockeren Sprüche Söder, Seehofer und Co. dazu auf Lager haben, denn damit karikieren sie einfach alle Bemühungen.

Was halten Sie von Ideen wie der einer Obergrenze?

Gar nichts, das ist ein furchtbares Gerede. Natürlich können wir nicht jeden bei uns aufnehmen, das ist klar, aber eine Obergrenze ist meiner Meinung schlicht nicht machbar und auch nicht mit unserer Verfassung vereinbar. Das alles zu meistern, ist eine riesige Herausforderung. Aber für mich steht auch fest: Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat. Da siehe ich einen viel wichtigeren Ansatz - aber das ist natürlich ein großes Rad.

Eine Folge der ganzen Debatte ist, dass Kultur und Religion wieder in aller Munde sind. Zum Beispiel im Streit um Kruzifix oder Burka, oder, hier in Ebersberg, um einen Grundschulausflug der katholischen Pfarrei. Sind das schädliche Debatten, oder können Sie solchen Diskussionen auch etwas abgewinnen?

Natürlich macht es mich traurig, wenn eine schöne und sinnvolle Tradition wie dieser Ausflug mit falschen Behauptungen zunichte gemacht wird. Aber ganz grundsätzlich schadet es nicht, mal über vermeintliche Selbstverständlichkeiten nachzudenken. Denn nur, weil man etwas schon immer so gemacht hat, ist es nicht automatisch gut. Man muss sich überlegen: Was bedeutet uns, mir das Kreuz? Was ginge für mich ganz persönlich verloren, wenn das christliche Abendland unterginge? Für die Kirche liegt die Herausforderung dann darin, ihre Traditionen gut zu begründen - was in vielen Fällen sicher gut gelingt.

Abgesehen vom Kulturkampf: Wie ist ansonsten die Stimmung im Ebersberger Dekanat?

Irgendwie angespannt. Es herrscht eine große Unsicherheit, wie es weiter geht, weil die Personalsituation in vielen Pfarreien so schlecht ist. Vor allem in der Seelsorge gibt es zahlreiche Stellen, die unbesetzt sind, es fehlt an Pfarrern, Diakonen, Kaplänen, Gemeindereferenten. Aber nicht, weil die Kirche sparen würde, sondern weil es einfach nicht genügend Menschen in diesen Berufsgruppen gibt. Und die Lage wird sicher noch kritischer werden...

Das bedeutet, dass die seelsorgerischen beziehungsweise pastoralen Angebote immer mehr zurückgeschraubt werden müssen?

Im Zweifel ja. Die Gläubigen werden sich daran gewöhnen müssen, dass es nicht alles an allen Orten gibt. Dass man zur Messe auch mal in den Nachbarort fahren muss. Oder sie müssen lernen, andere Formen zu akzeptieren, etwa Wortgottesdienste, die die Gemeindereferentin hält. Oder dass jemand anderes als der Stadtpfarrer zur Beerdigung kommt.

Ist das denn schwierig?

Manchmal schon, aber das ist auch verständlich. Die Kirche selbst war jahrhundertelang sehr pfarrerfixiert - da ist es kein Wunder, dass die Gläubigen und andere Institutionen das übernommen haben. Aber deswegen ist es eben heute nicht ganz einfach zu vermitteln, dass Diakon und Co. keinesfalls Mitarbeiter zweiter Klasse sind. Interessant ist: Je näher die Menschen der Kirche stehen, desto eher akzeptieren sie jemand anderen als den Pfarrer.

Sind Sie als Ebersberger Stadtpfarrer von dieser Personalnot auch betroffen?

Nein, nicht so sehr, wir sind mit pastoralen Mitarbeitern ganz gut ausgestattet. Hier drückt der Schuh aber woanders: Dadurch, dass ich heuer dauerhaft die Leitung des Steinhöringer Pfarrverbands dazubekommen habe, hat die organisatorische Arbeit erheblich zugenommen. Deshalb haben wir jetzt - als erste Pfarrei im Landkreis - beim Ordinariat Unterstützung durch einen Verwaltungsleiter beantragt.

Dieses Modell war bei seiner Einführung 2015 kirchenintern ziemlich umstritten...

Ja, das stimmt, aber die Wogen haben sich geglättet. Von jenen Kollegen, die das Angebot bereits wahrgenommen haben, höre ich jedenfalls nur Gutes. Das Wichtigste dabei ist, dass zwischen Pfarrer und Verwaltungsleiter, das sind Betriebswirte, die Chemie stimmt. Deswegen nehme ich auch an allen Bewerbungsgesprächen und an der Entscheidung persönlich teil.

Wie viel Unterstützung bekommen Sie, wenn der Antrag genehmigt wird?

Das hängt immer von der Zahl der Mitglieder einer Pfarrei und anderen Faktoren wie Pfarrverbänden ab, bei uns wären es 23 Stunden pro Woche für Ebersberg und Steinhöring. Das ist eine ganze Menge.

Noch mal zurück zur Unzufriedenheit in den Gemeinden. Gibt es dafür noch andere Gründe?

Ja, und sie liegen zum Teil im Ordinariat. Wie sich gezeigt hat, sind dort sehr viele Bauanträge aus den Pfarreien jahrelang liegen geblieben, darüber hatte bisher wohl niemand einen detaillierten Überblick. Und diese Schlamperei schlägt natürlich bis an die Basis durch: Die Kirchenverwaltungen und vor allem die Kirchenpfleger kriegen den ganzen Ärger der Gläubigen ab, die oftmals schon vor Jahren viel Geld für Renovierungen gespendet haben, ohne dass es etwas bewirkt hat. Doch die Mitarbeiter in den Pfarreien können ja gar nichts dafür.

Glauben Sie, dass sich die Situation nun bessern wird?

Ich denke, ja. Das Ordinariat hat nun seine Strukturen - diverse Kompetenzen und Abläufe vor allem in den Bereichen Bauwesen und Finanzen - verändert. Ich hoffe auf reguläre Verfahren ab Frühjahr.

Zum Schluss noch ein bisschen Theologie: Sie formulieren Ihre Predigten ja nie vorher aus, aber wissen Sie schon ungefähr, was Sie den Menschen an Weihnachten mitgeben wollen?

Ja, der Grundgedanke, an dem ich gerade brüte, ist: Gott kommt damals wie heute in die Welt, obwohl sie ist wie sie ist. Ihre Unvollkommenheit, Zerrissenheit hindert ihn nicht daran, ganz im Gegenteil. Sie ist gerade die Motivation für seine Menschwerdung. Die Herausforderung ist nun, heute mit dieser Botschaft unterwegs zu sein. Denn das bedeutet, den eigenen Blickwinkel, auch gerade angesichts der Asylproblematik, immer wieder zu überprüfen, Brücken zu bauen und nicht an der Welt zu verzweifeln. Denn das Wort ist Fleisch geworden - so die geballte Theologie im Johannes-Prolog.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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