Integrationstheater:Die Bühne als Herzöffner

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Das Integrationstheater des Alten Kinos verspricht Improvisation mit Witz und Gefühl. Die Premiere ist bereits ausverkauft, am Dienstag gibt es eine Zusatzvorstellung

Von Sandra Langmann, Ebersberg

Wenn man einen Wunsch frei hätte, was würde man sich wünschen? Einen schönen Urlaub? Ein neues Auto? Haedar wünscht sich Frieden in seiner Heimat Syrien. Alleine steht er im Lichtkegel eines grellen Scheinwerfers, um ihn herum Dunkelheit. Er trägt nichts bei sich als einen riesigen Koffer in der einen und eine Blume in der anderen Hand. Seine Augen füllen sich mit Tränen, der Blick ist in die Ferne gerichtet. Es fällt ihm schwer zu sprechen. Haedar, der 21 Jahre alt ist aber viel erwachsener wirkt, sorgt mit dieser Szene vermutlich für den emotionalsten Moment im Integrationstheater des Alten Kinos, das am Samstag, 20. Mai, Premiere feiert. Haedar erzählt darin wie die anderen Darsteller eine besondere Geschichte: seine eigene.

Zwölf junge Männer aus sieben Ländern schildern ihre Erfahrungen als Geflohene in Deutschland und mit welchen Problemen sie Tag für Tag konfrontiert sind. Doch die Aufführung ist kein Klagelied, sie schildert die Alltagssituationen zumeist auf lustige Art und Weise. Ein Drehbuch gibt es nicht, denn der Abend ist reines Improvisationstheater, das die Darsteller mit den Theaterpädagoginnen Frieda Wilhelmi und Dorothea Anzinger erarbeitet haben. Das Schlangestehen auf dem Amt und die Bürokratie werden darin genauso thematisiert wie die deutsche Pünktlichkeit.

Die Idee entwickelte Wilhelmi mit Sebastian Schoepp vom Verein Altes Kino. "Er wusste von meinen Büchern, meiner Theatererfahrung und Integrationsprojekten", erzählt Wilhelmi. "Und das wollte er miteinander verbinden." Also bewarb sich das Alte Kino bei einem Wettbewerb des Bundesamtes für Migration und bekam einen Zuschuss. Seit Oktober sind die Proben in vollem Gange.

"Es heißt Brooooote und nicht Breeete": Mit viel Geduld erklärt Wilhelmi dem jungen Robin die richtige Aussprache. Die Zeit wird knapp, die Generalprobe steht schon vor der Tür. Der Text sitzt allerdings noch nicht ganz. Die zwölf Männer, zwischen 17 und 20 Jahre alt, sind aufgeregt. "Je näher die Aufführung rückt, desto unruhiger werden sie", sagt Wilhelmi. Schon wenig später kommen den Darstellern die Worte deutlich flüssiger über die Lippen, und alle finden ihren Platz auf der Bühne. Die Umbauarbeiten zwischen den Szenen dauern Wilhelmi noch zu lange, ihre Stimme wird schroffer - was bei ihren Schützlingen sofort Wirkung zeigt, es geht jetzt flotter.

Wie Geflohene den Alltag in Deutschland wahrnehmen, das beleuchten die Teilnehmer des Integrationsprojekts des Alten Kinos in Ebersberg. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Iimaan liest einen Brief von einer Freundin vor, den er seit Jahren bei sich trägt. Die Aufregung steht ihm ins Gesicht geschrieben, seine Hände, die das Papier umklammern, beginnen zu zittern. Doch dann schließt er seine Augen und beginnt zu singen. Gänsehautstimmung. Doch die lustigeren Szenen überwiegen und halten den Zuschauern ein Deutschland vor Augen, das für Neuankömmlinge ganz schön verwirrend sein kann. Der Gang zum Bäcker kann da zur wahren Geduldsprobe werden. Wie soll man sich zwischen all den Sorten entscheiden? "Ich wollte doch nur Brot kaufen!", schimpft Sam.

Die Themen haben alle Beteiligten gemeinsam erarbeitet. "Die Teilnehmer kamen mit so vielen Vorschlägen, dass wir sie gar nicht alle unterbringen konnten", zeigt sich die Theaterpädagogin Wilhelmi überrascht. Mit so viel Engagement und Motivation habe sie anfangs gar nicht gerechnet. Doch das Projekt habe sich als absoluter Selbstläufer erwiesen. Und da das Integrationsprojekt des Alten Kinos insgesamt drei Jahre laufen wird, soll es weitere Stücke geben, in denen dann all die Ideen verarbeitet werden können.

"Das Theater bringt Menschen zusammen", ist Anzinger überzeugt. Seit 30 Jahren steht sie auf der Bühne, spricht also aus Erfahrung, wenn sie sagt, dass das Theater die Herzen öffne. "Hier müssen die Menschen sich zeigen, wie sie wirklich sind, und Gefühle zulassen", so die Schauspielerin. Für Männer, die von Theater noch nie etwas gehört haben, eine besondere Herausforderung. Doch mit der Zeit seien alle lockerer, offener und vertrauter im Umgang miteinander geworden.

Geleitet wird die Truppe von Theaterpädagogin Frieda Wilhelmi. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Was umso erstaunlicher ist, als dass in der kleinen Truppe Völker aufeinander prallen, die in ihrer Heimat verfeindet sind. Die Darsteller stammen aus Mali, Eritrea, Libyen, Somalia, Afghanistan, Sierra Leone und Syrien. Durch die Helferkreise wurden sie Teil des Projekts - und erkannten, dass sie miteinander Spaß haben und viel erreichen können. Gerade weil diese Darsteller keine Profis sind, wirken sie authentisch und ehrlich. Und wenn sie sich bei der Premiere, die bereits ausverkauft ist, so sympathisch präsentieren wie bei den Proben, dann werden sie sicher auch vom Publikum ins Herz geschlossen.

Integrationstheater des Alten Kinos in Ebersberg, zusätzliche Vorstellung am Dienstag, 23. Mai, um 20 Uhr, Einlass 19 Uhr. Karten gibt es unter www.kultur-in-ebersberg.de, (08092)255 92 05 oder im Foyer des Alten Speichers.

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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