Historie:"Es geht darum, Geschichten zurückzugeben"

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Will aufklären und Forschungen anstoßen: Matthias Haupt, Stadtarchivar in Wasserburg. (Foto: Privat)

In Wasserburg gab es zur Zeit des Nationalsozialismus circa 1000 Zwangsarbeiter. Das Stadtarchiv stellt nun in einem Vortrag seine Erinnerungsarbeit und den Forschungsstand vor

Interview Von Theresa Parstorfer

Seit mehr als zehn Jahren leitet Matthias Haupt, 42, das Wasserburger Stadtarchiv. Jedes Jahr organisiert er Veranstaltungen zur Geschichte der Stadt. Im vergangenen Jahr ging es um die Reformation. Der am kommenden Montag stattfindende Vortrag wird die nationalsozialistische Vergangenheit Wasserburgs beleuchten.

SZ: Herr Haupt, was passierte in Wasserburg zur Zeit des Nationalsozialismus?

Matthias Haupt: Das ist eine Frage, die für einen Archivar so pauschal kaum zu beantworten ist. Für uns stellt sich vielmehr zuerst die Frage, was für Quellen über welches Themengebiet vorhanden sind, und dann die Überlegung, unter welcher Fragestellung wir diese Quellen wissenschaftlich aufarbeiten können.

Was für Quelle n g ibt es in Wasserburg?

In Wasserburg könnten tatsächlich sehr viele Themenkreise beforscht werden. Denn wir befinden uns einerseits in der sehr glücklichen Situation, dass im Stadtarchiv wahre noch nicht gehobene Schätze liegen. Da der Bestand nun auch vollständig erschlossen und zugänglich ist, lagern dort Quellen seit dem Mittelalter. Das ist wirklich außergewöhnlich.

Sie sagten "einerseits" sei das eine glückliche Situation. Was ist es andererseits?

Andererseits liegt Wasserburg weit entfernt von der nächsten Universität. Ich vermute, dass deshalb weniger Historiker oder auch Studierende für Forschungen zu uns kommen. Es ist einfacher, in Universitätsnähe zu forschen. Dementsprechend wird noch verhältnismäßig wenig Quellenarbeit betrieben.

Was unternehmen Sie dagegen?

Wir versuchen, das zu kompensieren, indem wir einen Geschichtswettbewerb für Studierende und auch eine wissenschaftliche Preisauslobung anbieten. Das hat in der Vergangenheit schon ganz gut funktioniert und so auch dieses Jahr wieder.

Es gibt also schon aufgearbeitete Teilbereiche der NS-Geschichte?

Ja, beispielsweise zur Rolle des Klinikums Gabersee und auch zur Stiftung Attl. Das heutige Klinikum und die Stiftung waren von der NS-"Euthanasie" betroffen. An die insgesamt circa 800 Opfer will die Stadt mit einem Denkmal erinnern. Hierzu gibt es eine Arbeitsgruppe, die überlegt, wie das Denkmal ins Stadtbild integriert werden könnte. Es war auch diese Arbeitsgruppe, die das Gedenken für die NS-Zwangsarbeit initiiert hat.

Um die Zwangsarbeiter wird es ja beim Vortrag am Montag gehen...

Genau. Hintergrund dieses Projektes ist, dass die Stadt wieder eine Preisauslobung veranstaltet hat. Joey Rauschenberger und Philipp Haase, zwei Historiker aus Heidelberg, haben den Preis gewonnen und werden am Montag über ihre Forschungsvorhaben sprechen. Ich berichte darüber, was bisher schon bekannt ist.

Was ist denn schon bekannt?

Beispielsweise gab es in Wasserburg französische Kriegsgefangene. Sie halfen 1940 bei der Beseitigung von Hochwasserschäden. Außerdem bauten sie das alte städtische Wuhrschwimmbad, am Wuhrstausee. Daneben gab es aber auch die sogenannten "Ostarbeiter". Sie wurden aus Ländern wie Polen und der Sowjetunion ins Deutsche Reich zwangsverschleppt und mussten hier arbeiten. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen waren im Vergleich zu den Kriegsgefangenen teilweise noch schlechter. Unglaublich hart und menschenunwürdig.

Wie mussten diese Menschen leben?

Die Quellenlage zu Einzelfällen ist leider nicht besonders gut, aber durch einen Nachlass, im Prinzip eine Zufallsüberlieferung, von Polizeiberichten eines Wasserburger Gendarmerie-Postens kennen wir bereits einige Einzelschicksale.

Zum Beispiel?

Eine junge Frau namens Lilli Emiljanowa vergiftete sich 1944 mit Schwefelsäure. Deshalb liegt ein Polizeibericht über sie vor. Lilli war 19 Jahre alt und in ihrer Heimat Russland hatte sie Medizin studiert. Sie war also bestimmt eine kluge, ehrgeizige Frau. Doch die stupide Fabrikarbeit bei Meggle, wo sie in der Käserei arbeiten musste, sowie die hohe psychische Belastung - sie durfte keinen Urlaub nehmen, nicht in ihre Heimat zu ihrer Familie fahren, und auch ihren Arbeitsplatz nicht wechseln - brachten sie wohl letztendlich dazu, sich das Leben zu nehmen.

Wie viele Zwangsarbeiter wie Lilli gab es in Wasserburg?

In der Molkerei Meggle waren 60 Zwangsarbeiter, im gesamten Altlandkreis Wasserburg circa 1000 Menschen beschäftigt. Neben Selbstmord starben viele von ihnen an Erkrankungen wie Hirnhautentzündung oder TBC, die auf die schlechten Lebensbedingungen in Baracken oder auf Mangelernährung zurückzuführen sind.

Ist den Wasserburgern heute diese Vergangenheit bewusst?

Ich glaube, das ist tatsächlich noch nicht allzu präsent. Auch wenn unsere Veranstaltungen vor allem zum Nationalsozialismus immer sehr gut besucht sind, ist das Thema bestimmt noch nicht überall angekommen. Deshalb bemühen wir uns beim Stadtarchiv darum, weiterhin aufzuklären und Forschungen anzustoßen.

Was würden Sie sich für die Erinnerungskultur in Wasserburg wünschen?

Es ist wichtig, all diese Themen anzusprechen und bewusst zu machen. Veranstaltungen wie die am Montag sind da eine Möglichkeit, Denkmäler eine andere. Gerade planen wir eines für die Opfer des Nationalsozialismus. Bei der Aufarbeitung von Geschichte besonders in der Öffentlichkeit geht es immer auch darum, Namen und Geschichten zurückzugeben.

Der Vortrag zur NS-Zwangsarbeit in Wasserburg findet am Montag, 26. Februar, um 19.30 Uhr im Sparkassensaal, Rosenheimer Straße 2, statt.

© SZ vom 22.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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