Hingehört:Gewöhnungsbedürftig

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Die Rotoren des Hamberger Windrads machen kein schönes Geräusch. Doch ist es über dem Teppich aus Verkehrslärm, der gewöhnlich über dem Land liegt, längst nicht so gut zu hören, wie manche befürchtet haben

Von Alexandra Leuthner, Bruck

Zu übersehen ist das Hamberger Windrad nicht. Es hat das Gesicht des Landkreissüdens verändert. Eigentlich sieht es man es von überall her; vom nördlich gelegenen Grafing genauso wie beim Spaziergang im Brucker Moos, und selbst noch von der Ebersberger Umfahrung aus - Luftlinie etwa sechseinhalb Kilometer Entfernung. Die Fahrt nach Hamberg, um nun, wenige Wochen nachdem die Anlage ans Netz gegangen ist, einen Hörversuch zu starten, findet also auch ihr Ziel, ohne den ganz exakten Standort zu kennen. Knapp 140 Meter hoch ist der Mast, noch einmal 40 Meter lange Rotorblätter drehen sich darüber. Die spannende Frage aber ist: Wie nahe muss ich dran sein, um sie dann auch zu hören? Nicht zuletzt an der Furcht vor dem Lärm oder gar vor gesundheitlichen Auswirkungen durch Infraschall - Schallwellen, die der Mensch zwar nicht hören aber möglicherweise spüren kann - hatte sich der Widerstand einer Bürgerinitiative aus den Nachbardörfern entzündet.

Seit Mitte Dezember ist das Windrad auf einem bewaldeten Hügel gegenüber dem Weiler Hamberg in Betrieb - obwohl die endgültige Entscheidung über eine Gegenklage vor dem Münchner Verwaltungsgericht noch nicht gefallen ist. Was die Gegner immer noch aufregt. "Da brauchen wir ja keine Paragrafen mehr, wenn jeder ohnehin machen kann, was er will." Das sagt eine Einwohnerin von Obereichhofen, etwa 700 Meter entfernt, die wir bei einem Spaziergang in Untereichhofen treffen. Sie ist Mitglied der Bürgerinitiative, will aber namentlich nicht genannt werden. Von den Pferdekoppeln aus, am Ortsausgang von Untereichhofen Richtung Hamberg gelegen, ist durch die unbelaubten Wipfel einer Baumreihe die obere Hälfte des Windrads gut zu erkennen. Die Rotorblätter ragen hoch empor, drehen sich sanft und regelmäßig, doch wo ist das Geräusch? Etwa 750 Meter beträgt der Abstand von hier bis hinauf zur Windanlage doch zumindest an diesem Nachmittag ist alle Anstrengung vergebens, etwas anderes als das Tschilpen der Spatzen und das auf- und abschwellende Geräusch dreier Flugzeuge, die in großer Höhe vom Erdinger Moos her kommen, aus dem allgemeinen Grundrauschen des Tages heraus zu filtern. Das Knirschen von Schritten im halbgefrorenen Schneematsch auf der Straße macht endgültig jeden Versuch zunichte, den Rotorblättern zu lauschen. Das mag an trockenen, warmen Tagen anders sein, auch mögen Menschen Geräusche verschieden stark empfinden - auf Tiere trifft das allemal zu. Etwa zehn Pferde dösen gelassen auf ihren Koppeln, lassen sich von der steten Kreisbewegung im Hintergrund nicht stören. Ein Pferd aber, erzählt die Spaziergängerin und Bürgerinitiativenaktivistin, habe kurz nach Inbetriebnahme des Windrads auf eine weiter entfernte Koppel umgesiedelt werden müssen, weil es völlig durchgedreht sei.

Die Straße hoch geht es direkt nach Hamberg. Keine 400 Meter von der Stelle im Wald entfernt, wo die Anlage steht, braucht es keine Konzentration mehr, um zu verstehen, was die Windrad-Gegner immer befürchtet hatten. Ein zufällig vorbei kommender Autofahrer aus Grafing hält extra an, um seine Meinung kund zu tun: "Ich find' schon, dass es ein wenig nervös in der Gegend herum zappelt", sagt er und zeigt mit dem Daumen über die Schulter. "Ich hätte es abgelehnt." Er gehe aber immer noch gerne hier spazieren, fügt er hinzu und fährt weiter Richtung Moos - wo es sicher stiller ist. Wer in Hamberg wohnt und nicht zur Gruppe jener Landwirte gehört, die sich zur Betreibergesellschaft Windenergie Osterkling GmbH zusammen geschlossen haben und irgendwann von dem erzeugten Windstrom profitieren, der hat, vorsichtig ausgedrückt, nicht das große Los gezogen. Wenn die Rotorblätter sich drehen, klingt es hier, als zerschnitten, ja zerschlügen überdimensionale Säbel in regelmäßigem Takt die Luft über den Baumwipfeln - die sich im übrigen kaum bewegen. Die Windunterschiede zwischen unten und oben müssen groß sein, was den Standpunkt hoch oben auf einem Hügel vermutlich rechtfertigt, und damit Menschen wie Peter Pfaff und seiner Frau Brigitte Feichtner versöhnen könnte.

Wenn schon die Landschaft verschandelt werden müsse, dann soll das wenigstens wirtschaftlich sein und viel Windenergie erzeugt werden, findet das Ehepaar, das in Obereichhofen zu Hause ist. Daran hätten sie allerdings ihre Zweifel. "Wenn ich höre, in 18 Jahren ist das erst abgezahlt, dann macht mich das wütend", sagt Feichtner. Vom täglichen Blick auf das "Ding", 24 mal höher als ihr Haus, gar nicht zu reden. "Wenn ich ins Dorf hinein fahre und das steht so hoch über den Dächern der Bauernhäuser, dann bleibt mir regelmäßig die Luft weg." Und Pfaff sagt: "Dominant. Das passt am besten. Wir haben uns noch nicht dran gewöhnt, wenn wir auch mit dem Lärm Glück haben." Obwohl das Haus des Paares am Ortsausgang Richtung Hamberg liegt, werde es von einem Nachbarhaus abgeschirmt, "bei den bisherigen Windverhältnissen jedenfalls". Jemand aus Hamberg habe ihnen allerdings erzählt, dass er das Schwingen der Rotoren "noch beim Fernsehen abends durch das geschlossene Fenster hört." Auch an einigen Stellen in Obereichhofen soll das Schlagen der Flügel deutlich zu hören sein.

Für viele ein Störenfried: das Brucker Windrad. (Foto: Christian Endt)

Ortswechsel. Eisendorf liegt von Hamberg 1,6 Kilometer entfernt, jenseits des Waldstücks, in dem das Windrad steht. Hier und in Loitersdorf, südlich von Obereichhofen und 1,7 Kilometer von Hamberg, sind die beiden Sprecher der Bürgerinitiative zu Hause. Zwischen der Zimmerei Josef Fritz am Eisendorfer Ortsrand und dem Windrad liegt viel freies Feld, ein Stückchen hügelan sieht man nun, da es dämmrig wird, rote Warnlichter in drei Höhen am Masten blinken. "Wie ein Kaminschlot in Ingolstadt" hat Peter Pfaff das beschrieben -, hören aber kann man nur die Autos auf der St 2089 und das aus den Dachrinnen abfließende Tauwasser. Auch beim Feldkreuz am Ortsausgang von Loitersdorf ist das "Wuschwusch" der Rotoren nicht zu hören. Was hier rauscht, sind all jene Autos, die auf den Straßen rund um die Weiler im südlichen Landkreis unterwegs sind. Ein wenig ruhiger ist es da beim Golfplatz Oberelkofen, zwei Kilometer vom Windrad entfernt. An das leichte Rattern der Rotorblätter, das hier an das ferne Schlagen von Stoff an Segelmasten erinnert, werden die Golfer sich wohl gewöhnen müssen.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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