Grafinger Jugendinitiative:Sympathisch versifft

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Che Guevara schaut von hinten zu: Im Grafinger Jig treffen sich seit 30 Jahren junge Leute. (Foto: Christian Endt)

Die Grafinger Jugendinitiative (Jig) ist seit den Achtzigern ein Treffpunkt der Alternativen. Zu ihrem 30. Geburtstag gibt es dort am Freitag ein Band-Konzert

Von Thorsten Rienth

Grafing - Als in den Neunzigerjahren am Grafinger Gymnasium eines der Jahrbücher erschien, schmunzelten die Schüler über eine Seite, auf der sich eine Kollage befand. Links waren gestylte Ladies unter dem Titel "Schickeria" abgebildet. Daneben sah man Leute in Nietenlederjacken, Union-Jack-Shirts und gepearcten Gesichtern, drunter stand "Jigeria". Zum Alltag an der Schule gehörten damals nicht nur die schicken Ladys, sondern auch die Alternativen. Für die Jigeria war seit Ende der Achziger die Jugendinitiative Grafing (Jig) Treffpunkt, Wohnzimmer und Konzertsaal. Seither sind 30 Jahre vergangen, zu diesem Anlass treten am Freitag, 20 Uhr, die Metal-Bands Black Salvation und Vvlva sowie die Rockgruppe Cravingsun auf.

Die Räume im Erdgeschoss des alten Schulhauses in der Rotter Straße 8 stellten immer auch Heimat für diejenigen dar, die im traditionellen Vereinsleben kein Zuhause fanden und finden. Nonkonformisten verschiedenster Facetten, Punks, Anarchos, Hippies, Leute aus dem linken bis antifaschistischen Lager. "Es muss in einer vielfältigen Stadt immer auch Platz für Kreise geben, die es ungezwungener mögen", sagt Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne). Für solche sei das Jig ein wichtiger Anlaufpunkt.

So selbstverständlich es heute klingt, war die Sache nicht immer. Die Forderung nach einem selbstverwalteten Jugendtreff hatte im Jahr 1986 bereits eine ganze Weile bestanden. Doch die Mehrheit im Stadtrat sah dafür lange keine Notwendigkeit. Erst als eine Handvoll Jugendlicher erfolgreich eine Teestube im Pfarrheim an der Rotter Straße betrieb, die wegen des großen Besucherandrangs aus allen Nähten zu platzen drohte, setzte ein Umdenken ein. Als zu den Sommerferien 1985 die letzten Schüler in die neue Johann-Comenius-Schule umzogen, tat sich im Erdgeschoss der Rotter Straße 8 die Option für eine Heimat auf.

Fast ein dreiviertel Jahr verging, bis die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihre Räumlichkeiten - einen Konzertsaal, einen breiten Flur und einen Thekenraum - ausgebaut und eingerichtet hatten. Auch die nachfolgenden Jig-Generationen gestalteten ihr gesellschaftliches Zuhause nach dem Pippilotta-Prinzip: Also so, wie es eben gerade gefiel. "Wenn man der Meinung war, dass eine andere Theke mehr Sinn machte, dann hat man halt eine andere hingebaut", erinnert sich Andreas Mitterer. Der Künstler war Ende der 80er Jahre im Vorstand der Jugendinitiative. Heute steht er dem Ebersberger Kunstverein vor.

Gesichter änderten sich, aber dieses Prinzip hielt sich all die Jahre. Wo einst eine Tür war, brach einmal jemand ein Loch durch die Wand. Das gibt es noch heute - und es ist einer der Gründe, warum sich der Thekenraum viel größer anfühlt, als die paar Quadratmeter sind. Irgendwann malte jemand ein Che-Guevara-Portait in den Konzertraum. Ein anderer nagelte ein altes Bundeswehr-Tarnnetz an die Decke. In drei Jahrzehnten entstand auf diese Weise eine eigene DNA, eine für viele junge Leute sympathische Siffigkeit, weil der Anspruch ans Umfeld im Jig eben ein anderer ist, als drüben im Café Kreitmaier.

Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass das Jig-Logo bald eine grinsende Ratte zierte. Heute sind es derer sogar zwei. Der Legende nach soll einst ein mumifiziertes Exemplar bei einer größeren Putzaktion aus dem Lüftungsschacht gepurzelt sein. In China gelten Ratten als einfallsreich, geistesgegenwärtig und vielseitig. Als nachtaktive Individuen mit starker Intuition, schnellem Reaktionsvermögen - aber ohne Drang nach Hierarchien oder ausgeprägtem Führungsfokus, kurz: Eigenschaften, die den "Jiglern" gefielen.

Was die Aktiven und Besucher aus dem Treff mitnahmen, dürfte so verschieden gewesen sein, wie all die Abende und Jahre selbst. "Mich hat jedenfalls immer der unglaubliche Respekt fasziniert, mit dem die Leute miteinander umgegangen sind", erzählt Mitterer. "Was ich damals dort gelernt habe, will ich auf keinen Fall missen." Dass Selbstverwaltung eben immer auch Selbstverantwortung bedeute, ein praktisches Verständnis von Demokratie. "Dass es, wenn man etwas miteinander machen will, basisdemokratische Strukturen braucht", sagt Mitterer. "Damit sich nicht am Ende derjenige durchsetzt, der am Lautesten schreit oder am Stärksten ist."

Vielleicht ist genau das die gedankliche Metaebene, die Aktive von damals und heute verbindet. Diesen Dunstkreis von Leuten, der sozial und kulturell auf einer Wellenlänge lebte, politisch kritisch dachte und dabei unterbewusst eine Art Mittelpunkt und Inspirationszentrum der eigenen Subkultur schuf. Eine Subkultur, die einerseits Nische war, aber stets auch Gegenstand des oberbayrischen Kleinstadt-Sozialgefüges blieb. Und damit - Schickeria oder Jigeria hin oder her - Teil des Grafinger Erwachsenwerden.

Zur 30-Jahr-Feier des Jig treten am Freitag, 9. Dezember die Metal-Bands Black Salvation und Vvlva sowie die Rockgruppe Cravingsun auf. Beginn in der Jugendinitiative Grafing ist um 20 Uhr.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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