Polizeiruf in Frauenneuharting:Echt sind nur die Postkarten

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Im "Polizeiruf" hat Frauenneuharting einen Badesee und die Dorfbewohner hören Heintje. Beim Public Viewing überrascht aber auch: Es brauchte drei Tage Halligalli, um ein paar Minuten Film zu drehen

Von Carolin Fries, Frauenneuharting

Plötzlich ist es da, das erste bekannte Bild: eine Straße durch den Wald, in der Entfernung eine Linkskurve. "Das ist in Kleinaschau", sagt Eduard Koch und freut sich leise. Frauenneuhartings Bürgermeister kennt sich gut aus, nicht nur in Frauenneuharting, auch im benachbarten Emmering, wo die erste Szene aus dem Landkreis spielt. Später werden noch kleine Sequenzen aus Frauenneuharting folgen. Drei Tage lang hat ein Fernsehteam im Sommer in der kleinen Gemeinde im Landkreissüden für den Polizeiruf 110 um Kommissar Hanns von Meuffels alias Matthias Brandt gedreht, das ganze Dorf wusste Bescheid, war teilweise sogar involviert. An diesem Sonntagabend sitzen etwa 30 Frauenneuhartinger in der Mehrzweckhalle, um zu sehen, wie ihre Gemeinde in dem Film wegkommt - und wer zu sehen sein wird. Der Bürgermeister hat zum Public Viewing geladen, die Feuerwehr verkauft Getränke.

Die Bilder, mit denen Frauenneuharting dann plötzlich auftaucht, sind allen bekannt: Mit dem Auto fährt von Meuffels in den Ort, vorbei am Ortsschild, auf dem aber nicht Frauenneuharting, sondern Waldkreitling steht. Dann parkt er seinen alten BMW vor dem Edeka-Markt, der eigentlich schon lange geschlossen ist, geht rein und spricht mit der Verkäuferin, die nur halb so nett ist wie die, die hier früher hinterm Tresen stand. Dann aber kommt's: Im Regal neben der Tür, wo früher immer die Knabbereien standen - Erdnüsse und Chips -, nimmt sich der Kommissar eine Heintje-CD aus dem Aufsteller, bezahlt.

30 Frauenneuhartinger schauen in der Mehrzweckhalle zu, wie viele Sekunden ihr Ort im Film zu sehen ist. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nur die Urlaubsgrüße an der Wand sind echt

Heintje! Naja, im Markt ist ohnehin alles unecht. Die Auslagen in der Theke, das Brot im Regal, die Auslagen im Fenster. Nicht nur, weil die Lebensmittel aus Plastik sind, sondern weil der kleine Markt früher ganz anders sortiert war. Nur die Postkarten an der Wand hinter der Verkäuferin, die sind echt. Urlaubsgrüße von Frauenneuhartingern an die alte Kramerin. Die sind jetzt auch im Fernsehen... Dann sitzt der Kommissar im Auto, der Kinderstar Heintje singt, im Hintergrund der leere Dorfplatz. Erscheint der Dorfplatz deshalb so ungewohnt sauber und aufgeräumt? Oder sind es die Autos, die sonst immer dort parken und die jetzt fehlen? Leise und von den Zuschauern in der Halle meist unkommentiert wandern die Bilder über die Leinwand.

Das liegt vor allem daran, dass der Krimi mit dem Titel "Und vergib uns unsere Schuld" recht schwerer Stoff ist. In diesem Waldkreitling nämlich ist ein 16 Jahre altes Mädchen verschwunden, den moppeligen Dorfdeppen hat von Meuffels dafür einst in den Knast gebracht. Es war einer seiner ersten Fälle, die Sache ist Jahre her. Als sich der Verurteilte im Gefängnis das Leben nimmt, steht der vermeintlich echte Mörder plötzlich bei von Meuffels vor der Tür und packt diesem seine Wahrheit scheibchenweise auf den Tisch. Der Film wechselt die Zeitebenen, schaltet immer wieder in die Vergangenheit nach Waldkreitling zurück.

Die Regendusche für Matthias Brandt alias Kommissar von Meuffels (links) hat die Frauenneuhartinger Feuerwehr verantwortet. (Foto: Wiedemann & Berg Television GmbH)

Auch eine Grafinger Tankstelle ist kurz im Bild

Und irgendwann fährt auch von Meuffels wieder hin. Vielleicht sind es drei Minuten, die im Polizeiruf aus Frauenneuharting zu sehen sind, mal in der Rückschau, mal in der Realzeit. Einmal taucht außerdem kurz die Urscher-Tankstelle in Grafing auf. Drei Tage Halligalli mit Wohnmobilen, Catering, Straßensperrungen und Drum und Dran für so wenig Film! Die Frauenneuhartinger Feuerwehr hat es sogar regnen lassen. Wenn man das weiß, nimmt man den Regen im Film plötzlich ganz anders wahr, wenn er den Schauspielern übers Gesicht rinnt. Man weiß ja jetzt, dass die gleich wieder trocken waren.

Das Gemeinste aber ist: Das echte Frauenneuharting ist nur ein Teil vom unwirklichen Waldkreitling. Regisseur Marco Kreuzpaintner, der seit Kurzem in Frauenneuharting lebt, hat ein paar Bilder genommen, diese mit anderen in einen Topf geschmissen und ein paar Mal umgerührt. Da läuft von Meuffels beispielsweise durch Frauenneuharting, als eine Tenne auftaucht, die ganz woanders steht. Und diese Fenstergitter in Sonnenoptik, die sind auch nicht von hier. Genauso wie der Campingplatz und der Badesee. Leider.

Hinten feiern die Frauenneuhartinger die WM 2006 nach, vorne spielen Lola Dockhorn und Karl Markovics den Polizeiruf im erfundenen Waldkreitling. (Foto: Karin Kampwerth/oh)

Wunderschön mutet der See mit Steg umgeben von Grün an. Den wenn es in Frauenneuharting gäbe, das wäre gar nicht schlecht. Dass das Dorf gerne feiert, wie beim Public Viewing des WM-Halbfinalspiels im Film, das passt. In Wahrheit feiert man zwar auf dem Dorfplatz statt auf dem Campingplatz, doch das sind Details. In den Fußball-Szenen sieht man auch mal kurz ein paar bekannte Gesichter. Kurze Freudenmomente bei den Zuschauern, dann hat einen die Krimihandlung wieder gefangen. Bis zum bitteren, offenen Ende.

"Gut", sagt Eduard Koch, der die Fernbedienung den ganzen Abend lang unter Kontrolle hatte. Ihm hat's gefallen, "ich mag den Brandt". Die anderen Zuschauer sind teilweise noch von der Geschichte um den Mädchenmord geplättet, "alleine hätte ich mir das nicht angeschaut", sagt eine junge Frau. Nur noch die Hälfte der Zuschauer hat den Schluss mitverfolgt: Kurz vor Film-ende ging der Feuerwehralarm los und Kommandant Georg Renner und seine Jungs sind die Treppen runtergelaufen und ein Stockwerk tiefer mit den Feuerwehrfahrzeugen nach Kleinaschau ausgerückt. Dorthin, wo vor einer Stunde im Film ein Mädchen in kurzen Hosen ihr Fahrrad durch den Wald geschoben hat.

© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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