Angeblicher Abrechnungsbetrug in der Kita:Vorwürfe gegen Gemeinde und Landratsamt

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Vor dem Ebersberger Amtsgericht hat der Betrugs-Prozess gegen die frühere Vorsitzende des Diakonievereins Poing begonnen.

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Es hätte auch ganz schnell gehen können: eine Einigung hinter den Kulissen, eine Bewährungsstrafe für die Angeklagte. Doch das wollte die frühere Vorsitzende des Diakonievereins Poing nun gerade nicht. Sie will vor dem Ebersberger Amtsgericht zeigen, wie es dazu kam, dass in den Kindertagesstätten des Diakonievereins in Poing zwischen 2011 und 2013 einiges schief lief - und dass sie sich ganz offenbar nicht allein verantwortlich fühlt, obwohl allein sie sich jetzt wegen Betrugs in drei besonders schweren Fällen vor Gericht verantworten muss. Konkret geht es darum, dass über längere Zeiträume hinweg falsche Angaben über die Qualifikation des Personals, dessen Arbeitszeiten und über Buchungszeiten der Kinder gemacht wurden. Dadurch, so der Vorwurf der Staatsanwältin, flossen Zuschüsse, die es ansonsten nicht gegeben hätte.

Der Sachschaden wird von der Staatsanwältin auf etwa eine Million Euro beziffert, zurückzahlen musste die Zuschüsse die Gemeinde Poing, für die das Geld an sich nur ein Durchlaufposten war. Aufgekommen waren die Unregelmäßigkeiten bei einer Routineprüfung durch das Landratsamt im Frühjahr 2014. Wenig später gab der Diakonieverein die Trägerschaft für die beiden Kindertagesstätten in der Blumenstraße und in der Kirchheimer Allee zurück.

Stundenzahlen und Qualifikationen wurden falsch angegeben

In der Anklageschrift wird nun detailliert aufgeschlüsselt, was alles falsch gelaufen sein soll. In etlichen Fällen soll auf der Online-Plattform "Kibig.web", das zur Berechnung der Zuschüsse dient, die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen falsch eingetragen worden sein. So wurde bei vielen Vollzeitkräften angegeben, dass 42 Stunden gearbeitet worden sei, während die Betreffenden tatsächlich 40 Wochenstunden im Vertrag stehen hatten. Überdies wurde laut Anklage angegeben, dass Mitarbeiterinnen Erzieherinnen waren, während sie tatsächlich eine Ausbildung als Kinderpflegerin hatten. Kinderpflegerinnen dürfen eigentlich keine Gruppenleiterinnen sein, in Poing war das hingegen der Fall, wie auch Zeugen bekräftigten. Auch sollen für eine Reihe von Kindern falsche Buchungszeiten weitergemeldet worden seien, so dass mehr Betreuungsstunden abgerechnet werden konnten. Weiter wird der Angeklagten vorgeworfen, dass es keine geeignete Qualitätssicherung gegeben haben und dass auch kein Konzept für die Kita vorgelegen haben soll.

Die 53-jährige Angeklagte äußerte sich zwar nicht selbst vor Gericht, ihre Rechtsanwältin Ricarda Lang machte aber deutlich, dass es aus ihrer Sicht bei weitem nicht so einfach ist, wie es die Anklageschrift vermuten lässt. Die frühere Vereinsvorsitzende sei nicht in ihrem Kämmerchen gesessen und habe für sich falsche Informationen eingegeben, sagte Lang. Statt dessen habe es immer wieder Rücksprachen mit dem Landratsamt und der Gemeinde gegeben. Die Angeklagte habe sich an die Zuständigen gewandt, als sie festgestellt habe, dass durch die von ihr ins System eingegebenen Zahlen Zuschüsse verloren gehen könnten. Daraufhin habe man sich gemeinsam Gedanken darüber gemacht, wie man gegensteuern könnte. "Die Angaben sind unter Mitwirkung der Gemeinde zustande gekommen", so der Vorwurf der Verteidigerin. Auch das Landratsamt sei umfassend informiert worden, das sollen auch Mails beweisen, die die Angeklagte an die Zuständigen dort geschrieben habe.

Die Kita hatte stets Probleme, genügend Personal zu finden

Am ersten Verhandlungstag versuchte sich das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Markus Nikol zunächst einen Eindruck zu verschaffen, wie die Abläufe in den Kitas tatsächlich waren und wie sich die Arbeitszeiten der Mitarbeiterinnen gestaltet haben. So sei erwartet worden, das bestätigten mehrere Zeuginnen, dass sie mindestens zehn Minuten vor Beginn der eigentlichen Arbeitszeit in der Kita sein sollten. Nach Einschätzung der Verteidigerin könnten so tatsächlich mehr Wochenstunden erreicht worden sein als in den Verträgen steht. Deutlich wurde aber bei den Zeugenvernehmungen auch, wie schwierig die Personalsituation insbesondere in der Kita an der Kirchheimer Allee war. Es habe viele Elternbeschwerden wegen mangelnder Fachkräfte gegeben, sagte eine frühere Mitarbeiterin. Einmal habe man Eltern sogar gebeten, bei der Betreuung mitzuarbeiten - zum großen Ärger der Vorsitzenden des Vereins. Ein anderes Mal habe man wegen Personalmangels ganz schießen müssen. Relativ oft kam es laut der Zeuginnen vor, dass Gruppen zusammengelegt werden mussten, weil nicht genügend Betreuungskräfte vorhanden waren.

Vorerst sind zwei weitere Verhandlungstage für den Prozess angesetzt, dann sollen unter anderem Mitarbeiter des Jugendamts im Landratsamt sowie des Jugendreferats der Gemeinde Poing in den Zeugenstand gebeten werden. Dass die Angeklagte selbst ihre Sicht der Dinge schildern wird, ist hingegen nicht zu erwarten - sie lässt ihre Anwältin für sich sprechen.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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