Gericht:Kriminelle Kettenreaktion

Lesezeit: 3 min

Wenn der Dealer den Dealer beschuldigt: 23-Jähriger aus dem Landkreis wegen Drogengeschäften verurteilt

Von Katharina Behmer, Ebersberg

"Den Herrn hätten wir überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt": Eine Art Dominoeffekt hat zur Verurteilung eines 23-jährigen Renovierers aus dem südlichen Landkreis geführt. 150 Gramm Amphetamine soll der junge Mann 2013 von einem Drogenhändler gekauft haben. In das Visier der Polizei gerückt war er jedoch nur durch Verkettungen innerhalb des Drogenmilieus: Alles begann mit einem Verfahren gegen einen Mann, der laut Polizei, "Cannabis im Kilobereich" handelte. Dieser nannte seine Abnehmer. Darunter auch ein Dealer, der nun am Ebersberger Amtsgericht gegen den jungen Mann aus dem Landkreis aussagte.

Der Renovierer wollte allerdings nichts von einem Drogendeal wissen: "Das stimmt nicht. Das ist reiner Schwachsinn. Ich versteh' selber nicht, was das eigentlich soll." Er kenne zwar den bereits verurteilten Händler flüchtig und habe schon mit ihm "zusammen gesoffen". Aber von Drogen wüsste er nichts. Richterin Vera Hörauf zweifelte jedoch an dieser Unschuldsbekundung, denn warum sollte der bereits verurteilte Mann den 23-Jährigen grundlos beschuldigen? "Das wüsste ich auch gerne! Ja, natürlich ist des komisch. Deswegen reg' ich mich ja auch auf. Vielleicht will er mir ja irgendetwas reindrücken", sagte der Angeklagte. Warum genau sich der Dealer an ihm rächen wollen sollte, konnte der Angeklagte dem Gericht jedoch auch nicht erklären.

Der verurteilte Drogenhändler hingegen gab Auskunft: "Das stimmt sehr wohl! Er schuldet mir noch über 2200 Euro", erklärte er. Er habe den jungen Mann sogar zusätzlich zu den Amphetaminen auch noch mit Ecstasy versorgt. Diese Schulden seien ihm jedoch erst vor Kurzem wieder eingefallen, als ihm ein Zettel mit "Namen und Zahlen" wieder in die Hände gefallen sei. Für den Verteidiger lieferte diese Aussage einen Beweis für die Unglaubwürdigkeit des Zeugen: "Jetzt mach ich den Beruf schon länger. Dass man auf Pump Drogen kauft, ist ja schon eher ungewöhnlich. Bei zwei Gramm Marihuana vielleicht - aber doch nicht bei 150 Gramm Speed." 2200 Euro seien immerhin "eine Menge Geld". Auch Unterschiede zu den Aussagen, die der 35-Jährige Zeuge gegenüber der Polizei geäußert hatte, trübten seine Glaubwürdigkeit: Statt - wie ursprünglich angegeben - vor einem Rosenheimer Club will er die Drogen dem Abnehmer privat, einmal bei ihm und einmal bei sich selbst zu Hause, übergeben haben.

"Die Glaubwürdigkeit ist natürlich immer schwierig", erklärte der Polizeibeamte, der den Fall des Dealers bearbeitet hatte, dem Gericht. Immerhin seien der 35-Jährige und sein "Geschäftspartner" beide "recht gute Kunden ihrer eigenen Ware" gewesen. Im Nachgang eines solchen Konsums könnten mitunter starke Gedächtnislücken auftreten. Außerdem liegt der angebliche Tatzeitraum ja bereits zwei Jahre zurück.

Der Dealer wollte sich denn allerdings gut daran erinnern können, schon gemeinsam mit dem Angeklagten Drogen konsumiert zu haben, bevor er ihm 50 und ein weiteres Mal 100 Gramm Amphetamin verkaufte. "Ja, ich hab das vor vier, fünf Jahren halt mal ausprobiert", gestand der Renovierer der Richterin. Angesichts seiner Vorstrafen war dieses Teilgeständnis indes nicht unbedingt eine Neuigkeit für das Gericht: Bereits 2011 und 2012 war er wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen. Und auch sein Lebenslauf weist laut eines Mitarbeiters der Jugendgerichtshilfe "einige Brüche" auf: Nachdem der junge Mann 2012 das Hauptschulzeugnis erhielt, brach er eine Ausbildung zum Schreiner und eine weitere zum Maurer ab, um Aushilfstätigkeiten auf dem elterlichen Hof zu übernehmen. Dort lebt er noch heute, arbeitet aber mittlerweile als ungelernter Renovierer in Vollzeit. Laut dem Gerichtshelfer sei eine "berufliche Sozialisation" also "noch nicht von statten gegangen". Deshalb riet er zu einem Urteil nach Jugendstrafrecht.

"Ich glaube dem Zeugen": Auch die Staatsanwältin plädierte auf eine Strafe, da sie die Vorwürfe als erwiesen ansah. Eine Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten seien hier "erzieherisch notwendig". Der Verteidiger beurteilte die Zeugenaussage hingegen ganz anders: "Wenn diese Witzaussage reichen soll, um eine so schwere Anklage zu belegen, ist das höchst bedenklich! Außer der Drogenmenge haben wir gar nichts gehört!" Er argumentierte im Zweifel für den Angeklagten - und somit für einen Freispruch.

Richterin Vera Hörauf aber sah die Anschuldigungen "durch die Beweisaufnahme vollumfänglich bewahrheitet". Aufgrund der großen Menge ging sie außerdem von einem Weiterhandel der Drogen aus. Sie verurteilte den Angeklagten nach Jugendstrafrecht zu einem zweiwöchigen Arrest.

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: