Ebersberg:Im Zweifel gegen den Freispruch

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Ein gehacktes Pay-Pal-Konto bringt einen Berliner auf die Anklagebank

Von Jan Linkersdörfer, Ebersberg

Thomas E. (alle Namen geändert) schüttelt ungläubig den Kopf, als die Staatsanwältin die Anklageschrift vorliest. Zu einem "nicht näher bekannten Zeitpunkt" im Jahr 2011 soll er sich unbefugt Zugang zu dem Pay-Pal-Account eines Mannes aus Grafing verschafft haben. Von diesem Konto habe er sich dann 20 Euro auf den eigenen Account transferiert. "Unbefugte Verwendung von Daten in Tateinheit mit Computerbetrug" lautet die Anklage. Das Strafmaß: 20 Tagessätze. Thomas E. steht in Ebersberg vor Gericht. Der 36-Jährige kommt eigentlich aus Berlin, für die Verhandlung musste er sich Urlaub nehmen. "Ich kann nur die Angabe machen, dass ich es nicht gewesen bin", sagt er zu Beginn. Er sitzt alleine auf der Anklagebank, seinem Anwalt hatte er zuvor das Mandat entzogen: "Der wollte 1000 Euro für die Reise und eine Übernachtung vor Ort haben." Das sei ihm die Sache nicht wert gewesen.

Um seine Unschuld zu beweisen, hat er einen Schnellhefter mit Kontoauszügen und Schriftverkehren mitgebracht. "Auf meinem Pay-Pal-Konto sind genau zwei Buchungen registriert, sonst habe ich den Account nie genutzt", erklärt der Versicherungsangestellte. Eine von diesen Buchungen sind die 20 Euro, die er sich angeblich selbst vom Konto eines Mannes aus Grafing überwiesen hat. "Als ich den Betrag gesehen habe und ihn nicht zuordnen konnte, habe ich die 20 Euro sofort zurück überwiesen", erzählt Thomas E. Die Rücküberweisung ist in seinen Unterlagen dokumentiert. Richterin Susanne Strubl hört davon jedoch zum ersten Mal: Der Anwalt von Thomas E. hatte es offenbar versäumt, eine Kopie an das Gericht weiterzuleiten. "Na, das läuft ja super", sagt der Angeklagte. Dann setzt er an: "Wenn ich das mal logisch betrachte: Ich hacke den Account X, bereichere mich um eine Summe von 20 Euro und packe die dann auf meinen eigenes Pay-Pal-Konto, wo alles nachvollziehbar dokumentiert wird. Das macht doch überhaupt keinen Sinn." Die Richterin winkt ab. "Sagen Sie das nicht", erklärt sie. "Nach dem, was ich bereits erlebt habe, wäre das leider Gottes das typische Verhalten."

Auch der Geschädigte selbst, Marko A., ist zu der Verhandlung erschienen. Doch seine Erinnerungen sind löchrig. "Ich weiß noch, dass ich die Sache gemeldet habe und zur Polizei gegangen bin", erklärt er. An ein Detail kann er sich noch erinnern: Damals, als sein Account mutmaßlich gehackt wurde, sei eine veränderte Empfangsadresse eingetragen worden, und zwar in Berlin. Es war die Adresse eines gewissen Alex K.. "Ich kenne diesen Mann nicht, hatte noch nie Kontakt zu dem", sagt der Geschädigte. Die Polizei machte K. in Berlin ausfindig und befragte ihn. Auf die Frage, ob er den Verdächtigen Thomas E. kenne, erzählte er den Beamten eine abenteuerliche Geschichte: Er kenne einen Mann mit diesem Namen. Früher haben sie gemeinsam in einem Videoverleih gearbeitet. E. sei ein "furchtbarer Zocker" gewesen, der "krumme Dinger dreht". Die Polizisten zeigten ihm auch ein Lichtbild des Angeklagten, woraufhin K. geantwortet haben soll: "Nein, das ist er nicht."

Richterin Strubl legt die Stirn in Falten und mustert den Angeklagten. "Ich bin kein Computerexperte", sagt sie. Sie gehe davon aus, dass hier eine Verwechslung vorliegt. "Freisprechen kann ich sie aufgrund der Beweislage trotzdem nicht, dafür müssten wir erst einen Fachmann zu Rate ziehen." Die Richterin schlägt deshalb vor, das Verfahren einzustellen. Nun liegt es an dem Angeklagten, seine Möglichkeiten abzuwägen: Wird das Verfahren eingestellt, bleibt er auf allen bisherigen Kosten sitzen. Anwaltskosten, Verdienstausfall, Reisekosten: Insgesamt etwa 700 Euro hat er zu diesem Zeitpunkt bereits gezahlt. Lediglich die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.

Sollte das Verfahren fortgesetzt werden, hätte er im Falle eines Freispruchs das Recht auf Rückerstattung einiger Kosten. Sollte er dann wohlmöglich doch verurteilt werden, könnte es aber noch teurer für ihn werden. "Das ist eine offene Kalkulation", sagt die Richterin. "Sie können in den sauren Apfel beißen oder weitermachen." Thomas E. entscheidet sich für die erste Möglichkeit. Seinen Pay-Pal-Account hat er mittlerweile gelöscht. Als nächstes wolle er über eine Rechtsschutzversicherung nachdenken.

© SZ vom 01.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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