Der Sport im Ort:Gute Figuren

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Jannik Liersch und Gregor Klehe voltigieren für Ingelsberg. Nächstes Ziel sind die Weltreiterspiele in den USA

Von Theresa Parstorfer

Ein paar Strohhalme liegen auf den Turnmatten. Und es riecht nach Pferd. Gregor Klehe zieht sich gerade vom Boden aus in einen Handstand auf einen hohen Bock mit Haltegriffen. Unter der gebräunten Haut seiner Arme zeichnen sich die Muskeln ab. Kerzengerade steht sein großer, schlanker Körper kopfüber in der Luft, während Jannik Liersch im Hintergrund an einer waagrechten Stange einen Klimmzug nach dem anderen macht.

An eine Gymnastikstunde erinnert diese Szene, wäre da nicht das Stroh. Doch auch das ist nicht weiter verwunderlich, weiß man, dass die Matten tatsächlich in einem Stall liegen, im ersten Stock unter dem Dachstuhl der Reitsportanlage in Vaterstetten. Nicht nur geritten wird dort, sondern auch voltigiert. Richtig gut sogar. Jannik und Gregor, 16 und 17 Jahre alt, sind zwei von drei Jungen in einem Sechserteam, das sich derzeit auf die Europameisterschaft vorbereitet. Wenn sie dort eine gute Qualifikation schaffen, geht es im September in die USA, nach North Carolina zu den Weltreiterspielen. Das wäre der Traum, sagen beide, als sie ein paar Minuten später auf einer Holzbank vorm Stall sitzen. Vor allem für Gregor, denn dies ist sein letztes Jahr als "Junior". Bald wird er 18 und der Leistungsstandard bei den "Senioren" sei noch mal ein anderer. Wie erfolgreich er dort sein wird, ist noch schwer abzuschätzen. Dass gleich drei junge Männer in einem Team sind, in einer Sportart, die wie klassisches Reiten "vor allem in der Basis von Frauen dominiert wird", das sei schon eine Besonderheit im Ingelsberger Verein, sagt Trainer Alexander Hartl.

Seit er vor sechs Jahren aus Langeweile auf einen Bock gesprungen ist, kommt Jannik Liersch nicht mehr vom Voltigieren los. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dabei haben sich am Anfang, vor sechs Jahren, weder Jannik noch Gregor wirklich fürs Voltigieren interessiert. "Mir war langweilig, als ich auf meine Schwester warten musste", erzählt Jannik. Mit dem Reiten und dem Voltigieren hatten beide Schwestern schon vor ihm angefangen und er musste manchmal mit, wenn die Mutter sie abholte. Eines Tages sei er dann selber auf den Bock gesprungen. Nicht mehr losgekommen ist er nach diesem Tag vom Voltigieren, hat dafür Fußball und Tennis aufgegeben. Heute trainiert er fünfmal in der Woche, drei Stunden am Abend nach der Schule, fünf Stunden am Wochenende. Er geht in Planegg aufs Gymnasium, mehr als zwei Stunden Fahrt sind das für jedes Training. Viel Zeit bleibt da nicht übrig, aber "man gewöhnt sich daran", sagt er.

Dieses Jahr soll es für die beiden zu den Weltreiterspielen in den USA gehen. (Foto: Christian Endt)

Ähnlich war das auch bei Gregor, nur dass er sogar schon wieder aufhören wollte, weil es ihm gar nicht so viel Spaß gemacht hatte. "Aber dann war ich irgendwie so gut, dass ich doch dabei geblieben bin", sagt er und lacht. "So gut", das heißt: einmal Vizeweltmeister, zweimal Europameister, zweimal Deutscher Meister. Vielleicht auch dreimal, da ist er sich gerade gar nicht mehr so sicher. Auch bei Jannik ist die Liste der Erfolge lang, und auch ähnlich schwer aufzuzählen. Die beiden schauen sich an und grinsen ein bisschen. Dann wandert ihr Blick zu einer der offenen Boxen, in denen eines der beiden Voltigierpferde, mit dem sie in der Gruppe auf Wettkämpfen starten, vor sich hin döst. Heute muss das majestätische Tier gar nicht mehr in die Halle. Nur 20 Prozent des Trainings wird tatsächlich auf dem Pferderücken absolviert, der Rest ist Trockentraining auf den Matten und am Bock, oder auf einem "Movie", einem Bock, der die Bewegungen des Pferdes simuliert. Doch auch das komme nicht an einen echten Galoppsprung heran, sagt Gregor.

Das Wichtigste beim Voltigieren sei Körperspannung und Kraft, sagt Jannik. "Ausstrahlung und Nerven", fügt Gregor hinzu, denn in der einen Minute, die der Athlet in der Einzelkür Zeit hat, um die Jury zu beeindrucken, müsse alles sitzen. Von der Haltung des Halses bis hin zum Lächeln, und sogar dem Kostüm. In diesem Jahr wird Jannik als gerissener Leonardo DiCaprio aus "Catch me if you can" antreten und Gregor als Batman. Durchaus passend - Jannik ist eher klein, zierlich mit feinen Gesichtszügen, Gregor überragt ihn um mehr als einen Kopf und seine Schultern sind um einiges breiter.

Nerven brauche man beim Voltigieren allerdings auch, sagen beide, weil man eben nicht nur wie beim "normalen Turnen", an einem Gerät hantiere, sondern an einem Lebewesen. Auch das bestätigt Trainer Hartl. "Ein Reiter ohne Pferd ist nur ein Mensch, ein Pferd ohne Reiter ist immer noch ein Pferd", so sage man und auch wenn tatsächlich keiner der beiden jungen Männer "normal" reitet oder wirklich Spaß daran findet, kommt es beim Voltigieren doch auf das Pferd an. Das mache den Sport so interessant, zu etwas ganz besonderem für Gregor und Jannik. "Manchmal frage ich mich schon, was das Pferd sich denkt, wenn da drei Leute auf ihm rumturnen", sagt Jannik. Vertrauen, Routine, aber auch Achtsamkeit spielen da eine Rolle.

Ob sie nicht manchmal Angst haben, oder zumindest Respekt, wenn sie zu dritt oder auch allein auf einem galoppierenden Pferd stehen und durchaus waghalsige Sprünge und Figuren durchexerzieren? "Nein", sagt Jannik, Angst nicht. Klar, man falle zwar, aber man falle weich. Ernsthaft verletzt hat sich noch keiner von den beiden. Bei Gregor war es "nur" einmal das Band im Fußgelenk. Abschürfungen an Armen und Beinen, das gehöre dazu. Wieder schauen sie sich an, "toitoitoi", sagen sie fast gleichzeitig und klopfen auf den Holztisch, an dem sie sitzen. Genau das - "toitoitoi" - wünscht man ihnen auch für die bevorstehende Europameisterschaft, damit es dann im Sommer wirklich nach Amerika gehen kann.

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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