Bußgelder:Spendenlotterie bei Gericht

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Bei kleineren Vergehen können Staatsanwälte und Richter Bußgelder verhängen, die Angeklagte an gemeinnützige Vereine zahlen müssen. Wer wie viel erhält, ist allerdings weder geregelt noch zentral dokumentiert.

Von Jan Schwenkenbecher, Ebersberg

5000 Euro an eine Suchtberatungsstelle, wegen 350 Gramm Marihuana. 1000 Euro, auch an die Suchtberatung, wegen eines heftigen Remplers in der Fußgängerzone. 1500 Euro an die Kreisverkehrswacht Ebersberg, wegen Ignorierens eine Straßensperre hinter der ein Kinder-Ponyreiten stattfand. Das sind nur drei von vielen Fällen, in denen das Amtsgericht Ebersberg Bußgelder verhängte, die der oder die Beschuldigte an einen gemeinnützigen Verein zahlen musste.

Nur Kleingeld? Mitnichten. 2013 wurden so mehr als 13 Millionen Euro von den bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften verteilt. Doch wer entscheidet, wohin das Geld geht? Welche Organisation sich über eine Finanzspritze von oftmals über tausend Euro freuen darf? Und welche nicht?

Zum Einen kann die Staatsanwaltschaft ein Bußgeld anordnen, das an einen gemeinnützigen Verein gezahlt wird. Voraussetzung sei aber, so Ken Heidenreich, Sprecher der Staatsanwaltschaft München II, dass es sich um ein Vergehen handelt, nicht um ein Verbrechen. "Die potenzielle Haftstrafe darf also nur maximal ein Jahr betragen", so Heidenreich. Bei einem Ladendiebstahl etwa könne die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen eine Geldauflage fallen lassen, wenn der Angeklagte noch nicht vorbestraft ist.

Kommt es aber zur Verhandlung, "entscheidet der Richter, an welchen Verein das Geld geht", sagt Markus Nikol, Sprecher am Amtsgericht Ebersberg. "Sie versuchen dabei, immer einen Sachzusammenhang herzustellen", so Nikol. Drogendelikt: Suchtberatung. Rempeln: auch Suchtberatung. Es gibt schließlich keine Rempelberatung, der Richter hat die Entscheidungshoheit. Verstoß im Straßenverkehr: Kreisverkehrswacht. "Ich habe auch schon erlebt, dass der Richter den Angeklagten fragt, ob er eine Idee hat, an welchen Verein das Geld gehen soll", sagt Heidenreich.

Nicht mehr als Orientierungshilfen

Mangelt es dem Angeklagten hinsichtlich seines künftigen Zahlungsempfängers aber etwas an Fantasie, gibt es als Orientierungshilfe für die Richter Listen, auf denen sich gemeinnützige Vereine eintragen lassen können. Für überregional tätige Organisationen gibt es Listen bei den Oberlandesgerichten (OLG). Für regional tätige Vereine liegen die Listen bei den zuständigen Landgerichten. Der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising etwa ist beim OLG München eingetragen, die Kreisverkehrswacht Ebersberg hingegen am Landgericht München II.

Das Bayerische Justizministerium hat in einem Mitteilungsblatt von Januar 2009 Bedingungen für Organisationen formuliert, um in die Listen aufgenommen zu werden: das zuständige Finanzamt muss die Einrichtung als gemeinnützig eingestuft haben, Zielsetzung und Satzung müssen dem entsprechenden Gericht vorliegen, die Organisationen müssen auf Anfrage nachweisen, wofür die geflossenen Gelder verwendet wurden und ihr Wirkungskreis soll sich im Gerichtsbezirk befinden.

Doch handelt es sich dabei eben lediglich um Orientierungshilfen, rechtlich bindend sind sie nicht. "Vereine, die Zuwendungen erhalten, müssen nicht auf der Liste stehen", sagt Gerichtssprecher Markus Nikol, "es können auch andere gemeinnützige Vereine bedacht werden." Wenn ihre Tätigkeit, so das Gesetz, "darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern." Das kann die Förderung von Wissenschaft, Kunst oder Altenpflege, aber auch die von Naturschutz, Sport oder Religion sein. Die Richter entscheiden, ob sie die Gelder an eine Organisation von den Listen verteilen, oder an eine andere.

In der Praxis wird es dadurch hinterher schwierig nachzuverfolgen, an welche gemeinnützigen Vereine die Bußgelder letztlich gingen. Auf den Listen stehen lediglich die Einrichtungen, die potenziell Gelder bekommen könnten. Dann gibt es weitere Listen auf denen vermerkt ist, wie viel Geld die eingetragenen Organisationen in einem bestimmten Jahr erhielten. Wohlgemerkt: nur die eingetragenen. Das Geld, das an andere Vereine ging, taucht in keiner Tabelle auf. Auch sagen die Listen von OLG und Landgericht nicht aus, welche Gerichte die Gelder verteilten, ob die Zuwendungen also vom Ebersberger oder vom Miesbacher Amtsgericht oder von der Staatsanwaltschaft stammen.

"Eine solche Liste gibt es nicht"

Eine genaue Auflistung aller Bußgelder, die das Amtsgericht Ebersberg an gemeinnützige Vereine verteilt hat, gibt es nicht. Was kein spezielles Problem in Ebersberg ist; auch an den Amtsgerichten in Erding, Rosenheim oder anderswo gibt es die entsprechende Buchführung nicht. Und die übergeordneten Gerichte können ebenso wenig Auskunft über die in Ebersberg verteilten Gelder geben. Die Pressesprecherin des OLG sagt: "Darüber werden keine Listen bei uns geführt." Die des Landgerichts München II sagt: "Eine solche Liste gibt es nicht."

Um herauszufinden, wohin nun die Bußgelder des Ebersberger Amtsgerichts verteilt wurden, bleiben nur die Listen, auf denen sich die Organisationen um die Gelder bewerben - als Orientierungshilfe. Auf jener des Landgerichts München II steht etwa die Ebersberger Kreisverkehrswacht. "Im Jahr 2016 haben wir nichts bekommen", sagt Otto Hartl, erster Vorsitzender. Davor gab es ein bisschen was. Hartl erinnert sich an einen Fall, da musste ein Verurteilter 1000 Euro an den Verein zahlen.

Und er erinnert sich an die anfangs erwähnten 1500 Euro wegen der durchfahrenen Straßensperre. Weil nur unregelmäßig Geld reinkommt, plant Hartl nicht mit den Zuwendungen. Und wenn es etwas gibt, dann nicht sonderlich viel. Es mache keinen so großen Anteil aus, sagt Hartl, "das kommt eher so obendrauf". Ebenfalls am Landgericht München II ist der Diakonieverein Markt Schwaben gelistet. Er bekam zuletzt im Winter 2015 Geld, 500 Euro. "Am Anfang gab es deutlich mehr Geld", sagt die Vorsitzende Barbara Unger. Der Förderverein Markt Schwaben aktiv, selbe Liste, hat bisher noch gar keine Zuwendungen erhalten.

Anders sieht es bei der Ebersberger Kinderkrebshilfe aus, einem der Spitzen-Empfänger im Landkreis. "Im Schnitt erhielten wir in den letzten fünf Jahren etwa 35 000 Euro pro Jahr durch Geldauflagen", sagt die Leiterin Helga Bogensperger. Zwar sei es auch für sie schwierig, mit dem Geld zu planen. Denn "die Gerichte bedenken nicht immer die gleichen Organisationen", sagt Bogensperger, "sie versuchen das Geld aufzuteilen".

"Ich wüsste nicht, dass wir auf einer Liste stehen"

Letztlich seien sie aber doch darauf angewiesen. "Wir sind ein eher kleiner Verein, da macht das relativ viel aus", sagt Bogensperger. Doch die Kinderkrebshilfe steht auf der Liste des OLG, auf der überregionalen Liste. Der größte Teil des Geldes, das der Verein erhält, kommt aus München, meist von der Staatsanwaltschaft. "Vom Amtsgericht Ebersberg bekommen wir nur selten etwas", so Bogensperger. In den vergangenen fünf Jahren gerade einmal 1100 Euro.

Die Bußgelder, die das Amtsgericht Ebersberg verhängt, gehen zu einem großen Teil an die Caritas in Ebersberg, zu der auch die Suchtberatung des Landkreises gehört. "Wenn wir Zuwendungen bekommen, dann immer vom Amtsgericht", sagt Kreisgeschäftsführer Andreas Bohnert, "wir bekommen meist einen vierstelligen Betrag. Manchmal ist es auch knapp drüber, also fünfstellig."

Das Geld sei hilfreich, mache aber im Gesamtbudget von etwa 3,5 Millionen Euro nicht so viel aus. "Trotzdem hilft es, gewisse Projekte aufrecht zu erhalten", sagt Bohnert. Erstaunlich daran ist, dass sich die Caritas nie explizit um die Gelder bewarb - "ich wüsste nicht, dass wir auf einer Liste stehen", sagt Bohnert - aber womöglich am meisten bekam.

Ob das Amtsgericht Ebersberg der Caritas oder aber einem anderen Verein das meiste Geld zusprach, lässt sich mangels zentraler Buchführung nicht genau feststellen. Auch nicht, an welche Vereine überhaupt Geld verteilt wurde. In jedem Fall aber bekam die Ebersberger Caritas mehr Gelder als die Kreisverkehrswacht, als der Diakonieverein Markt Schwaben und als der Förderverein Markt Schwaben aktiv. Obwohl letztere auf der Liste am Landgericht eingetragen sind, sich somit offiziell um die Gelder bewarben.

© SZ vom 03.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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