Bruck:Wenn sich die Reihen schließen

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Erhard Meißner vor dem Mehrfamilienhaus in Alxing, in das er vor 15 Jahren mit seiner Frau eingezogen ist. (Foto: Christian Endt)

Die Gemeinde Bruck hat tendenziell wenig Zuzug. Das macht den Umgang mit Neulingen nicht unbedingt einfacher

Von Carolin Fries, Bruck

Ein- bis zweimal in der Woche hat Josef Schwäbl jemanden am Telefon, der ihm sagt, wie schön es in Bruck ist. Schwäbl ist Bürgermeister der etwa 1200 Einwohner großen Gemeinde im Süden des Landkreises, und er kann sich kaum einen schöneren Platz auf der Welt vorstellen - auch wenn er es nicht von ständig von anderen hören würde, wäre das wohl so. Nun, die Leute, die ihn da anrufen, würden auch gerne in Bruck wohnen. Sie fragen den Bürgermeister am Telefon oder per E-Mail nach einem Grundstück, einem Haus oder einer Wohnung. "Manchmal sind die nur vorbei gefahren und finden es so schön, dass sie sich bei uns melden", erzählt Schwäbl. Anfragen kommen aus den umliegenden Gemeinden, dem Landkreis, München oder auch von weiter her. Gerne mit dem Zusatz, dass das kleine Dorf unbedingt ein kleines Dorf bleiben müsse - "nur für sich hätten's halt gerne noch ein Platzerl", erzählt Schwäbl. Doch so einfach ist das nicht. Meistens muss Schwäbl darauf verweisen, dass Bruck lediglich Bauland für Einheimische ausweist. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Einwohner gerade einmal um 24 Personen gestiegen.

In Zeiten zunehmenden Siedlungsdrucks ist es erstrebenswert, in einer hübschen Gemeinde einheimisch zu sein, also die Kriterien für vergünstigtes Bauland zu erfüllen. Wer das nicht kann, gilt als klassischer Zugezogener, der sehen muss, was er kriegen kann. Dem Landkreis werden bis 2032 die landesweit zweithöchsten Zuwachsraten nach dem Landkreis München vorhergesagt. 150 000 Menschen sollen spätestens dann hier leben. Das Landesamt für Statistik bescheinigt Ebersberg seit jeher ein positives Wanderungssaldo von etwa 2000 Personen pro Jahr. Wo die alle landen? Poing, Markt Schwaben und Vaterstetten waren zuletzt die größten Zuzugsgemeinden. Hier hat sich die Zahl der Einwohner in den vergangenen 60 Jahren verachtfacht (Poing) oder verfünffacht (Vaterstetten). Doch auch die Zahlen kleinerer Kommunen wie Egmating, Forstinning oder Oberpframmern haben sich verdoppelt. Bruck ist von 1950 bis 2010 um 151 Neubürger ebenfalls überproportional um mehr als zehn Prozent gewachsen. Wer sich München nicht leisten kann oder will, landet schnell bei den Immobilienangeboten in Grafing. Und von hier sind es nur noch ein paar Kilometer nach Bruck. Dort kostet der Quadratmeter Baugrund 340 Euro, in Grafing innerorts 670 Euro.

Wenn der Brucker Gemeinderat wollte, könnte er womöglich mehr Baugrund ausweisen. "Eine Ortsabrundungssatzung haben wir die letzten neun Jahre nicht gehabt", sagt Schwäbl. Vorrangig den Einheimischen will man die Möglichkeit geben, am Ort bleiben zu können. "Das ist natürlich ein wirtschaftlicher Nachteil", sagt Schwäbl, weil die Gemeinde den Baugrund auf dem freien Markt deutlich teurer verkaufen könnte. Und doch hat das Gremium sich zuletzt darauf verständigt, die fünf Parzellen am Wirtsanger in der Ortsmitte wieder ausschließlich an Einheimische zu verkaufen. "Bedarf ist immer da", sagt Schwäbl. Für zwölf neue Häuser ist bereits eine Erweiterung in Pienzenau vorbereitet, "das können wir jederzeit machen", sagt er.

Und dennoch landen auch in Bruck klassische Zugroaste, wenn auch nur ein paar. Wie Erhard Meißner, 72 Jahre alt, und seine Frau Christine. Vor 15 Jahren ist das Paar, das ursprünglich aus Thüringen kommt, in eine Wohnung nach Bruck gezogen. Acht Jahre haben sie zuvor in Haar gelebt, "Bruck oder Alxing haben wir vorher gar nicht gekannt", sagt Erhard Meißner. Sein Dialekt verrät ihn sofort, umso erstaunlicher klingen seine Worte: "Hier heimisch zu werden, war überhaupt kein Problem." Meißner ist in einem Dorf bei Leipzig groß geworden, "das Dorfleben funktioniert überall gleich", sagt er. Das Paar wohnt direkt gegenüber des Alxinger Wirtshauses, wenn dort das Licht brennt, gehen die beiden eben rüber. Meißner trat in den Schützenverein ein, übernahm das Amt des Schriftführers. "Eine Woche nach unserem Einzug hat man uns beim Gartenfest einen Platz am Biertisch angeboten." Er sei nicht nur akzeptiert, so Meißner, sondern "angekommen". Mit der bairischen Sprache habe er "keene Mühe", Spezialausdrücke frage er einfach nach. Erhard Meißner ist ein Musterbeispiel, das Josef Schwäbl gerne vorzeigt. "Es ist doch ganz einfach", erklärt der Bürgermeister das Leben auf dem Dorf. "Wer mitmachen will, kann mitmachen." Die Alternative ist: nicht mitmachen. Problematisch wird es beim anders machen.

Das hat die Gemeinde Bruck zuletzt in der Frage erlebt, ob sie ein Gewerbegebiet ausweisen soll. Bürgermeister und Gemeinderat sagten ja, etliche Bürger waren dagegen. Es wurde lange gestritten, und die Wogen sind auch nach einem Bürgerentscheid zugunsten der Gewerbegebietsplanung noch nicht gänzlich geglättet. Es ging nämlich nicht nur um die eine Sache, sondern auch darum, "warum die Leut' daherziehen, wenn's ois umkrempeln wollen", wie Schwäbl bei der jüngsten Bürgerversammlung gesagt hat. Ein Schuss in Richtung der Zugroasten, unter denen er seine Gegner ausmachte. Doch zur Schutzgemeinschaft Taglachinger Tal, inzwischen eingetragener Verein, gehören gebürtige Brucker ebenso wie lange Zugezogene, wie etwa Manfred Gaibinger. Vor 43 Jahren hat er sich ein Haus im Ortsteil Taglaching gekauft. "Taglaching ist meine Heimat", sagt Gaibinger. Er hat hier Freundschaften geschlossen, ist Mitglied im Veteranenverein, 14 Jahre lang hat er das Weinlokal "Tajut" betrieben. Eigentlich ist auch Gaibinger ein Musterbeispiel. Bis "ich mein Maul aufgemacht habe", wie er sagt. Weil er gegen das Gewerbegebiet ist. "Da schließen sich dann die Reihen", habe er festgestellt. Und er, er steht dann nicht bei den "echten Bruckern", sondern bei den Besserwissern, den Gscheideren, bei denen, die sich eingekauft haben. Darf man das denn nicht, einfach mitreden, ohne gefragt worden zu sein? Schwäbl sagt: "Wir wurden so erzogen, dass wir erstmal staad sind und zuhören." Manfred Gaibinger wurde womöglich anders erzogen. Vielleicht war er auch der Meinung, lange genug zugehört zu haben. Das Beispiel zeigt, wie schnell das Dorf zum Spiegel der Globalisierung wird: Welten treffen aufeinander.

Respekt ist für Schwäbl der Schlüssel, der auch unbekannte Schlösser sperrt. Im Fall der Schutzgemeinschaft Taglachinger Tal - oder aber der Flüchtlingsfamilie, die im alten Feuerwehrhaus untergekommen ist. Auch das gibt es in Bruck, und es funktioniert. Etwa zehn Vereine, zwei Wirtshäuser, Kindergarten und Krippe und Schule stehen Neubürgern als Anlaufstelle bereit, um Kontakte zu knüpfen. Wenn es dennoch nicht klappen sollte, ist der Bürgermeister gerne bereit, zu helfen. "Meine Handynummer hat jeder."

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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