Baiern:Die Kleinen mal ganz groß

Lesezeit: 2 min

Das Bairer Waldfest bietet Spaß für jedes Alter. Für die Kinder ist es der Höhepunkt des Jahres

Von Jessica Morof, Baiern

Ganz allein steht der etwa zehnjährige Junge auf der leeren Holzbühne. Im Schatten der Scheune, aus der die Blasmusik der Bairer Musi über das Platzerl schallt, hat er sich am Rand der Tanzfläche positioniert und auf sich selbst fokussiert. Das erhitzte Gesicht über der typischen Miesbacher Tracht ein krasser Kontrast zu seinem blütenweißen Hemd. Eine Weile lauscht er der Musik, dann hüpft er, schlägt mit den Händen auf die Oberschenkel und anschließend mit der Rechten auf den linken Fuß. Unzufrieden blickt er auf den Boden, wartet ab und versucht es erneut. Die ein oder andere Bewegung muss er wohl noch einüben, damit sie bei der Plattel-Aufführung später gut sitzt.

Schon die Kleinsten tragen Lederhosen, Filzhüte und Dirndl. Nur die eigens bestickten Wollsocken dürfen bei großer Hitze auch mal ausgezogen werden. (Foto: Christian Endt)

Für die Kinder ist das Waldfest des Trachtenvereins Bairer Winkel zwischen Netterndorf und Antholing einer der Höhepunkte des Jahres, denn sie dürfen die Tänze, die sie das Jahr über einstudiert haben, nicht nur den Eltern und Großeltern zeigen, sondern auch vielen Festbesuchern. Zwei Mal die Woche haben die 45 Kinder zwischen vier und 16 Jahren mit ihren Jugendleitern für solche Aufführungen geprobt; ein bisschen Lampenfieber ist trotzdem ganz normal. "In den letzten zwei Proben merkt man die Aufregung schon", berichtet Barbara Sigl, die Chefin der Jugendleiter. "Vor allem, wenn es so heiß ist."

Zum Bairer Waldfest gehört die Tracht. (Foto: Christian Endt)

Und heiß ist es an diesem Sonntag auf dem Waldfestplatz in Baiern. Am Rande eines kleinen Waldstückes südlich von Netterndorf sind Essensbuden, Biergarnituren und Vergnügungsattraktionen aufgestellt: ein Schießstand des Schützenvereins, eine Naturkegelbahn, eine Los-Scheune und eine Felsenbar für den Abend. Mehrere blaue Sonnenschirme, eine graue Plane und die Bäume spenden den dringend benötigten Schatten. Gemeinsam mit den hölzernen Schuppen schirmen sie das Platzerl auch von den weit entfernten Ortschaften und Straßen ab. Den Blick nach Süden und Osten über die Kilometer weite Fläche voller Wiesen und auf die Alpen in der Ferne lassen sie jedoch frei. "Da möchte ich doch nicht in die Stadt ziehen", erklärt Barbara Sigl, die gerade ihr Abitur gemacht hat und nun in München zu studieren beginnt, weshalb viele Bairer ihrer Heimat treu bleiben.

Etwa 800 Personen erwartet Martin Riedl, Vorsitzender des Trachtenvereins, am Sonntag - die Besucher des Kesselfleisch-Essens am folgenden Abend nicht eingerechnet. Passend zur Landschaft, den Schmankerln und der traditionellen Blasmusik sind beinahe alle in Tracht gekleidet. Nur vereinzelt blitzen Jeans, T-Shirts oder Fahrradtrikots zwischen den Dirndln, Lederhosen und Jankern hindurch. Wer zum Trachtenverein gehört, ist bei den Kindern ganz einfach zu erkennen: Die Jungen tragen eigens bestickte Wollsocken und grüne Filzhüte mit Birkhahnstoß an der linken Seite; die Mädchen haben sich mit blau-schwarzen Dirndln, weißen Strumpfhosen und creme-goldenen Schürzen sowie Schultertüchern geschmückt. Paarweise stellen sich die Mädchen und Jungen nun vor der Tanzbühne auf. Manche trippeln von einem Fuß auf den anderen; andere bleiben locker. An den kleinen Fingern aneinander gehakt laufen sie im Takt der Musik auf dem Podest ein und platzieren sich: die Jungen in der Mitte, die Mädchen außen herum. Während die Buben auf Barbara Sigls Zeichen hin mit dem Platteln loslegen - Oberschenkel, Füße, Unterschenkel - drehen sich die Mädchen so schwungvoll um ihre eigene Achse und um die Buben herum, dass die Röcke fliegen und man vom Zusehen schwitzt. Voll konzentriert bis zum Ende präsentieren sie lächelnd ihre Tänze. Erst nachdem der letzte Takt verklungen ist und sie - wieder paarweise - über die Stufen von der Tanzfläche abgehen, heften sich glitzernde Augen in Richtung "Kaffeeschüberl". "Auf auf zum Eis", brüllt einer der Burschen und rennt los, sobald er seinen Fuß von der letzten Stufe genommen hat.

© SZ vom 11.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: